Kommentar zur Spielabbruch-Debatte: Der DFB kann sich die Fans nicht zurechtbiegen
Köln –
Fan-Gruppierungen deutschlandweit sind in den vergangenen Tagen auf Konfrontationskurs mit dem DFB gegangen. In mehreren Fußball-Stadien kam es wegen beleidigender Plakate zu Spielunterbrechungen. Die Folge: Es tobt nun eine wilde Debatte, die von Anhängern, Spielern, Experten, Klubs, Verband und Medien befeuert wird. Dabei geht es um Verhältnismäßigkeiten und Kollektivstrafen, Rassismus, Schmähungen und Ungerechtigkeiten. Es braucht dringend einen Kompromiss, findet unser Autor. Ein Kommentar.
Hitzige Debatte um DFB-Vorgehen bei Hopp-Plakaten
Fußball-Deutschland ist in Aufruhr, der Ton ist schärfer geworden. Wobei: Geht es nach dem harten Kern der Fanszene, war er das ja immer schon. Der Vorwurf der Anhänger, stellvertretend formuliert von den Bayern-Ultras der Schickeria München: Wegen „Beleidigungen, die im Fußball seit Jahrzehnten alltäglich waren, ohne bei irgendjemandem für große Diskussionen gesorgt zu haben“, würden plötzlich Spiele unterbrochen.
Nun, damit haben die Anhänger des Rekordmeisters sogar recht. Denn – sind wir mal ehrlich – wer ist heutzutage noch ernsthaft pikiert, wenn der Sitznachbar im Stadion plötzlich aufspringt und mit biergeschwängertem Organ Menschen als „Wichser“, „Arschloch“ oder „Drecksau“ beschimpft? Eben – niemand. „So ist das beim Fußball“, heißt es dann gern. „Einfach mal Dampf ablassen“ – meist aus der Anonymität der Masse heraus.
BVB-Fans verstießen gegen Bewährungsauflagen
Ebenfalls richtig ist auch, dass viele Spruchbänder und Plakate in der Vergangenheit nicht zu Spielabbrüchen geführt haben. Dass die Situation nun eskaliert ist, hat allerdings einen ganz konkreten Anlass: Obwohl sie auf Bewährung waren, beleidigten Fans von Borussia Dortmund den Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp im Dezember erneut, wortwörtlich wie folgt: „Hopp, wir scheißen auf dich! Du Hurensohn!!!“
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Damit wollten die Fans womöglich beweisen, wie „unbeugsam“ und „rebellisch“ sie sind. Das Problem war nur: Sie hatten etwas losgetreten, denn der Verband war nun wohl oder übel zu einer Reaktion gezwungen. Der DFB entschied, die BVB-Fans kollektiv für mehrere Spielzeiten von Auswärtsspielen bei der TSG auszuschließen – obwohl dieser Art von Strafe eigentlich abgeschworen worden war. Der DFB muss sich jetzt fragen, ob das Urteil wirklich klug gewählt war. Deeskalierend war es jedenfalls nicht – im Gegenteil.
Die Fronten zwischen Fans und DFB sind verhärtet
Fakt ist aber auch: Jene Fans, die damals im Dezember das folgenschwere Banner hochzogen, hatten es genau darauf angelegt. Darauf, dass nun in allen Blöcken der Republik Aktionen mit dem „Wortbruch des DFB“ begründet werden können. Was wiederum die Frage auf den Plan ruft, ob den „gesprächsbereiten“ Fan-Gruppen tatsächlich etwas am Dialog mit dem DFB liegt. Ganz offensichtlich fühlen sich nämlich große Teile in der Rolle der rebellischen Unruhestifter pudelwohl.
Der Konflikt zwischen der aktiven Fanszene und dem Verband, er schwelt schon lange. Nun ist er eskaliert. Wie aber lassen sich die Wogen glätten? Nur mit einem Kompromiss.
Es braucht dringend einen Kompromiss
Die Fans auf der einen Seite täten gut daran zu akzeptieren, dass auch die freie Meinungsäußerung ihre Grenzen hat. Dann beispielsweise, wenn Menschen bewusst beleidigt werden. Und wer mit voller Absicht gegen entsprechende Auflagen verstößt, wer trotz vorheriger Warnung dennoch schmäht, beleidigt und pestet, der muss mit den Konsequenzen leben. Ganz zu schweigen davon, dass es moralisch völlig daneben ist, drei Tage nach einem Vorfall wie dem Amoklauf in Hanau einen Menschen in einem Fadenkreuz auf einem Plakat zu zeigen. Auch wenn das die Ultras gerne hätten: Die Kurve ist kein rechtsfreier Raum.
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Aber auch der Verband muss sich eingestehen, dass er sich die Fans nicht einfach zurechtbiegen kann. Der DFB hat überreagiert, die zahllosen Unterbrechungen am vergangenen Wochenende – teils auch bei unbedenklichen Plakaten – waren nur noch weiteres Öl ins Feuer. Aber anstatt sofort in den intensiven Dialog mit den Anhängern zu treten, setzt der DFB lieber auf Maßregelungen. Kein Wunder, dass sich die Fans nicht gehört fühlen.
Und warum sind eigentlich bei Fußball-Spielen Hundertschaften von Polizisten und Kameras vor Ort – und doch ist es nicht möglich, Übeltäter schnell und unmittelbar dingfest zu machen? Wieso werden in der Regel die Vereine und deren Anhängerschaften, nicht aber die wirklichen Täter bestraft? Diesbezüglich sollte der Verband seine Strategie dringend überdenken. Nicht zuletzt sollte der DFB sich auch mit konstruktiven Forderungen der Fans – beispielsweise bei medizinischen Notfällen wie jüngst in Leverkusen das Spiel zu unterbrechen – intensiver auseinandersetzen.
Das Allertraurigste an der Geschichte für alle Parteien ist jedoch: Der Fußball ist der Schauplatz einer groß inszenierten Fehde geworden. Über das, was Woche für Woche auf dem Rasen passiert, spricht derweil kaum noch jemand.