Mon Dieu - die Olympia-Kolumne von Nils Weber
  • MOPO-Reporter Nils Weber berichtet von seinen fünften Olympischen Spielen.
  • Foto: dpa | Michael Kappeler

Olympia-Kolumne: Mein Zimmer ist verwanzt – und was Putin damit zu tun hat

Bonjour Hambourg! Ich bin schon ein halber Franzose nach fast zwei Wochen in Paris. Das ist natürlich maßlos übertrieben und eine exklusive Sichtweise, aber ich habe mich wirklich gut eingelebt in meiner Nachbarschaft und fühle mich wohl. Habe mich angepasst an das Verhalten der Einheimischen. Gehe bei Rot über die Ampel, stütze mich nicht mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab, setze mich in der vollen Metro nicht auf einen der Klappsitze an den Türen – ein absolutes No-Go, das einem böse Blicke einbringen kann.

Ich werde fröhlich begrüßt und wiedererkannt, wenn ich morgens auf dem Weg zu einer der Wettkampfstätten bei der fantastischen Boulangerie, der Bäckerei, an der Ecke meinen Kaffee und meine Brioche, mein Baguette oder Croissant hole (es scheint mir übrigens ein Klischee zu sein, dass nur Touristen unter der Woche Croissants frühstücken und sich so als solche outen – es sei denn, wahnsinnig viele Touristen sprechen akzentfreies Französisch).

Herzlicher Kiosk-Opa, ruppig-arroganter Kellner

Und wenn ich abends, nachts trifft es besser, von einem langen Olympia-Tag zurückkehre und mir noch eine oder zwei große Flaschen Wasser bei dem kleinen Kiosk an der Ecke hole, um meinen in der Olympia-Hitze dramatisch in Schieflage geratenen Wasserhaushalt auszugleichen, dann strahlt mich der schmächtige Opa mit nordafrikanischen Wurzeln, der kaum über den Tresen gucken kann, derart an, dass mir ganz warm ums Herz wird und ich ihn am liebsten in den Arm nehmen würde.

Und sogar der ruppige, unverschämt arrogante und kettenrauchende Kellner in der Brasserie, in der es mit Kollegen ab und an ein spätes Feierabend-Kaltgetränk gibt, presst mittlerweile zur Begrüßung ein grimmiges „Bonsoirmessieurs“ hervor. Soll schon was heißen. Andere Gäste werden ignoriert oder mit abfälligen Handbewegungen dirigiert. Außerdem streitet er sich dauernd mit dem Typen am Zapfhahn, was wiederum sehr unterhaltsam ist – auch ohne Französischkenntnisse.

Stammgast auf Zeit. Ich fühle mich wahl-heimisch.

Mein einziges Problem in Paris: kleine rote Punkte

Es gibt da nur ein Problem: mein Zimmer ist verwanzt. Diese Sorge hatte ich auch bei Olympia 2008 in Peking, aber das hatte andere Gründe – und es ging um andere Wanzen, in Paris geht es um echte, lebende! Genauer gesagt: Bettwanzen. Blutsauger. Sie beißen. Am liebsten nachts. Kommen dann aus ihrem stets sehr guten Versteck.

Zuerst waren es nur zwei, drei kleine rote Punkte auf dem Körper am Morgen nach meiner Ankunft. Im Verlauf der ersten Olympia-Woche habe ich dann mehr Punkte gesammelt als Dennis Schröder beim olympischen Basketballturnier. Ich übertreibe natürlich, maßlos sogar. Die Sache und die Punkte sind jedenfalls unschön, aber immerhin ungefährlich.

Wussten Sie übrigens, dass Bettwanzen bei einer Lebensdauer von einem Jahr bis zu sechs Monate ohne Nahrung auskommen können? Stellen Sie sich das mal bei einem Menschen vor! Lieber nicht.

Bettwanzen – ein Problem und Fall für die Politik

Ich habe an der Rezeption des günstigen Apartment-Hotels um entsprechende Hygienemaßnahmen gebeten. Ein Zimmerwechsel war nicht möglich, alles ausgebucht. Man wollte sich kümmern. Mittlerweile ist es tatsächlich besser geworden in Sachen Punktevergabe. Meine Nächte werden allerdings auch immer kürzer, aufgrund zunehmender morgendlicher Früh-Termine. Ich verknappe sozusagen das Angebot.

Überrascht hat mich das alles nicht, denn das Bettwanzen-Thema hatte in Frankreich, vor allem im vergangenen Jahr, Schlagzeilen gemacht – natürlich wegen der anstehenden Olympischen Spiele. Von einer Plage der sich in ganz Europa ausbreitenden Schädlinge war die Rede. In den sozialen Medien brach eine regelrechte Hysterie aus. Die Politik war alarmiert, im Parlament wurde diskutiert. Das Pariser Rathaus rief den großen vor-olympischen Anti-Bettwanzen-Kampf aus.

Minister warf Russland Wanzen-Propaganda vor

Dann der Hammer: die große Weltpolitik kam ins Spiel. Frankreichs Minister für europäische Angelegenheiten warf Russland im März dieses Jahres vor, den Wanzen-Alarm angeheizt zu haben, in den sozialen Netzwerken, von einer Armee russischer Cybertrolle. Das sei nachgewiesen worden. Eine Destabilisierungskampagne gegen ein westliches Land, das die Ukraine unterstützt, noch dazu Olympiagastgeber von Spielen, bei denen russische Athleten nicht unter ihrer Flagge starten dürfen. Schwere Geschütze. Und nein: keine Satire.

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Von kleinen roten Punkten auf meinem Körper zu Putin-Propaganda, Krieg und Geopolitik. Das ist mir zu groß. Mein Problem ist angesichts der Weltlage ein vergleichsweise winziges, ja unsichtbares und nichtiges Problem – und im Kollegenkreis ist mir kein weiteres bekannt (wobei: über so etwas redet man ja auch nicht gern). Außerdem hatte ich das woanders auf der Welt auch schon mal, auch in Deutschland (nein, ich meine nicht die Punkte in Flensburg!).

Ich sitze das jetzt einfach aus, besser gesagt, liege. Biss zum Ende dieser Spiele.

Au revoir Hambourg … et à bientôt!

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