Kaum Kontrollen: Wird Olympia zur Doping-Hochburg?
Corona-Spiele = Doping-Spiele? Das Misstrauen ist groß bei einigen Sportlern vor dem Start in Tokio. Die Dopingjäger verweisen auf eine engmaschige Teststrategie.
Für den ehemaligen Kugelstoß-Weltmeister David Storl wurde durch das Coronavirus „dem Betrug Tür und Tor geöffnet“, nach Ansicht von DOSB-Präsident Alfons Hörmann ist das „internationale Ungleichgewicht der Dopingkontrollen“ durch die Pandemie „womöglich noch größer“ geworden. Werden die Corona-Spiele in Tokio also die größten Doping-Spiele der Geschichte? Wechseln viele Medaillen noch Jahre danach den Besitzer?
Olympia: Steigt die Zahl der Doping-Fälle durch Corona?
„Wir hoffen nicht“, sagt Lars Mortsiefer, Justiziar und Vorstandsmitglied bei der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA). Er gehe davon aus, „dass das System sich unabhängig von der Pandemie seit den letzten Olympischen Spielen weiterentwickelt hat und sich robuster zeigt“, betonte Mortsiefer im SID-Gespräch. Man sei „viel weiter, als vor vier oder fünf Jahren“.
Allerdings, gab der Jurist zu bedenken, habe die Pandemie natürlich globale Auswirkungen: „Wir machen uns nichts vor: Wenn unsere Kontrollen aufgrund von ausgefallenen Wettkämpfen deutlich zurückgegangen sind, dann ist das international überall so.“
NADA: Zuverlässige Dopingkontrollen nicht weltweit möglich
Nachdem das Kontrollsystem nach dem Corona-Schock im März 2020 für mehrere Wochen zeitweise komplett zum Erliegen gekommen war, erreichte die NADA über das gesamte Jahr bei den Trainingstests auch aufgrund innovativer Methoden wie dem Trockenbluttest das Niveau von 2019. Der große Unterschied lag bei den Wettkampftests, hier verzeichneten die Dopingjäger in Deutschland wegen ausgefallener Wettbewerbe 2020 ein Minus von 3000 Proben.
Besonders außerhalb Europas lässt sich das Geschehen kaum nachvollziehen. Die NADA-Vorstandsvorsitzende Andrea Gotzmann erklärte deswegen mit aller Vorsicht, „zumindest für Europa und in den Regionen, wo die Pandemie nicht den Strich durch die Rechnung gemacht hat“, könne man von einem „relativ normalen Ablauf“ sprechen.
Doping-Spiele? NADA-Vorstand setzt auf zuverlässige Kontrollen
Es bleiben also Fragezeichen beim Blick auf die sportliche Sauberkeit bei den Spielen in Tokio (23. Juli bis 8. August), bei denen rund 11.000 Athletinnen und Athleten aus mehr als 200 Ländern zusammenkommen.
Mortsiefer setzt auf das vorolympische Testprogramm der nationalen Anti-Doping-Organisationen und vor allem die Kontrollen der International Testing Agency (ITA).
Doping-Vergehen: Häufen sich die nachträglichen Medaillenvergaben?
Diese 2018 unter der Aufsicht von WADA (World Anti-Doping Agency) und des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gegründete Organisation testet seit Anfang des Jahres gezielt potenzielle Olympiastarter weltweit, nach eigenen Angaben hat ITA mindestens 80 Prozent der qualifizierten Athletinnen und Athleten im Vorfeld kontrolliert.
Bleibt noch das „scharfe Schwert“ (Mortsiefer) der Langzeitlagerung von Olympia-Dopingproben. Schon in der Vergangenheit wurden Sünder entlarvt, saubere Athleten erhielten im Nachgang eine Aufwertung. Die meisten erklärten, das Gefühl sei nicht vergleichbar mit den Emotionen einer Siegerehrung. Doch diese dürften bei den Social-Distancing-Spielen von Tokio ohnehin gedämpfter ausfallen als vor ausverkauftem Haus in Rio, London oder anderswo.
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Eine ganz neue Unbekannte ist die Möglichkeit von Doping-„Anschlägen“, auf welche die ARD-Dopingredaktion in ihrer neuesten Dokumentation aufmerksam machte. In einer Studie belegten die Investigativjournalisten um Hajo Seppelt, dass selbst eine flüchtige Berührung an Hand, Handgelenk oder Nacken ausreichen kann, um einem anderen Menschen mithilfe eines Trägerstoffes eine Dopingsubstanz zu verabreichen. Hier stehen die Kontrollinstanzen vor einer weiteren schwierigen Aufgabe. (sid/hoe)