Bitter nach Wahnsinns-Comeback: „Das Verrückteste, was ich je gemacht habe“
Notfall? Nicht doch. Das wäre eine Untertreibung. Bei Deutschlands Handballern herrscht nach den Corona-Fällen acht und neun der absolute Ausnahmezustand. Nichts macht die verzwickte und verrückte Situation des DHB-Teams bei der EM deutlicher als die Personalie Johannes Bitter. Rücktritt vom Rücktritt, Nachnominierung als Not-Ersatzmann – und wenige Stunden nach der Ankunft und kurz vor dem letzten Vorrundenspiel am Dienstagabend plötzlich Nummer eins und einziger Torwart!
Vom Sofa, wo der 39-Jährige die ersten beiden deutschen Spiele nach eigener Aussage als „Fan“ verfolgt hatte, ins EM-Rampenlicht und zwischen die Pfosten. Und das innerhalb von nicht einmal einem Tag. Ein Wahnsinn. „Wenn ich die letzten 12 bis 15 Stunden Revue passieren lasse, war das das Verrückteste, was ich im Handball je gemacht habe“, sagte Bitter vom HSV Hamburg, der 20 Jahre nach seinem Debüt im DHB-Trikot sein Comeback gab und sein 171. Länderspiel machte.
Handball-EM: Deutschland gewinnt gegen Polen mit 30:23
Wahnsinn war auch das Vorrunden-Finale gegen Polen – im besten Sinne! Mit einer grandiosen Leistung besiegte die dezimierte DHB-Auswahl den zuvor ebenfalls zweimal siegreichen Gegner mit 30:23 (15:12) und nahm die wichtigen zwei Punkte in die morgen beginnende Hauptrunde mit, wo zum Auftakt Europameister Spanien wartet.
„Ein großes Kompliment“, lobte Bundestrainer Alfred Gislason sein Team nach dem vor allem in der Höhe überraschenden Sieg. „Das war überragend im Abwehr und im Angriff. Unter diesen Bedingungen, unter diesem Druck haben sie das echt großartig gemacht.“
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Vor allem zwei EM-Debütanten lieferten ab. Christoph Steinert war an seinem 32. Geburtstag mit neun Toren (sechs Siebenmeter) bester DHB-Schütze. Bester Spieler war der 21-jährige Julian Köster von Zweitligist Gummersbach, der mit sechs Buden auftrumpfte und „Man of the Match“ wurde.
Auch Bitter meisterte seinen Kaltstart, war ein stabiler Rückhalt und hielt, was zu halten war. Der Keeper-Riese war einer von nur 14 Spielern, die am Dienstagabend in Bratislava gegen Polen antraten – darunter fünf nachnominierte Spieler, die am Morgen des Spieltags angereist waren. Am Nachmittag waren kurzfristig auch noch Torhüter Till Klimpke und Linksaußen Marcel Schiller mit einem positiven PCR-Test ausgefallen und in Quarantäne gegangen, in der sich bereits sieben Spieler nach Infektionen befanden, darunter Keeper Andreas Wolff.
Bitter war plötzlich der einzige Torwart. „Dass es so schlimm kommt, damit rechnet man natürlich nicht“, hatte Bitter am Dienstagmorgen in einer ersten Reaktion nach seiner Nachnominierung gegenüber der MOPO erklärt. „Das ging jetzt alles ziemlich schnell.“ Da war noch nicht klar, dass auch noch Klimpke ausfallen würde.
DHB-Team: Jogi Bitter war plötzlich der einzige Torwart
Am Montagabend hatte Gislason bei Bitter angerufen und den 2,05-Meter-Mann um Hilfe gebeten, denn auch die auf der DHB-Liste vor ihm als Ersatzkandidaten stehenden Joel Birlehm (ist Sonntag Vater geworden) und Silvio Heinevetter (krank) sagten ab.
Nach den Olympischen Spielen in Tokio hatte Bitter seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt. Nur auf Bitten Gislasons hatte der Routinier ein Hintertürchen offengelassen – für den Fall, dass absoluter personeller Notstand im DHB-Tor herrscht. Es kam dann sogar noch schlimmer.
Keine einfache Situation für Bitter. Erst vor zwei Wochen ist er Vater geworden und erst vor wenigen Tagen ist er mit dem HSVH in die Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte gestartet.
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„Wenn man sagt, dass man im Notfall bereit ist und der Bundestrainer anruft, dann muss man zu seinem Wort stehen“, betont Bitter in der MOPO. „Ich möchte dem Team in dieser schwierigen Lage helfen und werde mein Möglichstes tun.“
Für die Hauptrunde hat der DHB nun Torwart Daniel Rebmann (Göppingen) und Linksaußen Patrick Zieker (Stuttgart) nachnominiert. Neben Spanien geht es für Deutschland gegen Norwegen (Freitag), Schweden (Sonntag) und Russland (Dienstag).
Vorausgesetzt, die deutsche Mannschaft bleibt von einer weiteren großen Corona-Welle verschont. Die Sorgen bleiben. Alles hängt von den nächsten Testergebnissen ab.