„Das totale Chaos“: Heiß geführte Debatte bei den US Open
Jannik Sinner genoss die elektrisierende Atmosphäre von New York. Kurz vor Mitternacht ließ sich der Weltranglistenerste für seinen Viertelfinaleinzug bei den US Open von den Fans unter dem Flutlicht im Arthur Ashe Stadium feiern. „Das ist großartig“, schwärmte der Topfavorit.
Die Stimmung im größten Tennis-Stadion der Welt ist besonders am Abend unvergleichlich. Doch es geht auch ganz anders. Als die Chinesin Zheng Qinwen dieser Tage um 2.15 Uhr den Rekord für das späteste Damen-Spiel bei den US Open perfekt machte, verloren sich nur noch ein paar Hundert Fans auf den Tribünen.
Alexander Zverev beendete Spiel nach halb drei
Seit Jahren debattiert die Tennisszene über Unsinn und Gefahren der schier unendlichen Nachtschichten. Eigentlich wollten die Organisatoren in New York diese mit einer neuen Regelung eindämmen. Doch stattdessen beendete auch Alexander Zverev sein Drittrundenspiel nach halb drei – das zweitspäteste Ende der US-Open-Geschichte. Ex-Profis und die Spieler-Gewerkschaft schlagen Alarm.
„Die Ansetzungen im Tennis sind das totale Chaos“, schimpfte der jüngst zurückgetretene Brite Andy Murray. „Es sieht so amateurhaft aus, wenn Spiele bis zwei, drei, vier Uhr gehen.“ Seine Tirade vollendete die frühere Nummer eins der Welt mit einer Aufforderung an die Profiorganisationen und die Grand-Slam-Veranstalter: „Klärt das.“
In diesem Jahr haben die Organisatoren bei den US Open eine neue Zeit-Politik eingeführt. Falls ein Spiel um 23.15 Uhr Ortszeit noch nicht begonnen hat, weil der Platz durch das vorherige Match noch blockiert ist, kann es nun auf einen anderen Court verlegt werden. „Ich denke, das ist ein guter Start“, sagte US-Star Coco Gauff, die in der Vergangenheit bereits über die späten Spiele geschimpft hatte: „Ich denke definitiv, dass das nicht gesund ist und nicht fair, für die, die so spät spielen müssen, weil es ihren Zeitplan ruiniert.“
Verletzungsgefahr steigt bei späten Spielen
Angewendet wurde die neue Regel in New York bislang aber nicht – so begann das Drittrundenspiel der Belarussin Aryna Sabalenka erst nach Mitternacht um 0.07 Uhr. Auch auf Wunsch der Weltranglistenzweiten, die lieber wie geplant im Arthur Ashe Stadium als in einer kleineren Arena aufschlug.
„Die Entscheidungen müssen früher fallen, wann Plätze gewechselt werden. Es braucht mehr Vorhersagbarkeit, wann die Profis spielen“, sagte Romain Rosenberg von der Spielergewerkschaft PTPA der Deutschen Presse-Agentur in New York.
Nach PTPA-Angaben hat sich die Gesamtzahl der Nachtspiele bei Grand Slams seit 2018 verdoppelt. Dazu sei die Chance, dass sich ein Spieler verletzt, bei einem späten Spiel um 25 Prozent höher. „Die Gesundheit der Spieler muss mehr in den Fokus rücken“, fordert Rosenberg. „Es ist kein Wunder, dass Spieler bei Turnieren rausziehen, kaputt sind und verletzt. Die physische und mentale Müdigkeit ist real.“
Novak Djokovic beendete French Open nach drei Uhr
Wenn die Profis in New York bis zwei Uhr spielen, sind sie nach Behandlungen, Medienterminen und der Fahrt nach Manhattan ins Hotel meist nicht vor fünf im Bett. Doch es geht noch später. Bei den French Open ging ein Fünf-Satz-Match von Novak Djokovic dieses Jahr bis 3.07 Uhr. Den Grand-Slam-Rekord halten Lleyton Hewitt und Marcos Baghdatis beim Sieg Hewitts bei den Australian Open 2008 bis 4.34 Uhr. Das späteste Spiel der Tennis-Geschichte bestritt Zverev bis 4.55 Uhr in Acapulco (Mexiko).
„Ich brauche keine weiteren Rekorde“, scherzte der Hamburger deshalb nach seiner Nachtschicht bei diesen US Open. „Vielleicht könnte man die Nightsessions früher anfangen. Aber du hast keine Kontrolle darüber. Die Matches vorher waren lang. Es gibt nicht viel, was das Turnier dagegen tun kann, man kann keinem einen Vorwurf machen.“
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Die Veranstalter verweisen darauf, dass es für die New Yorker Zuschauer schon schwierig sei, nach der Arbeit bis 19.00 Uhr auf der Anlage im östlich gelegenen Queens zu sein. Dann beginnt die Nightsession mit zwei Partien – anfangs des Turniers noch auf zwei Plätzen. Dazu rühmen sich die US Open für Geschlechtergleichheit bei den Ansetzungen zu sorgen – anders als die French Open.
„Es ist Teil des Reizes. Es ist etwas, das unsere Fans lieben“, sagte Lew Sherr, Geschäftsführer des veranstaltenden US-Tennisverbands – und verwies auf den Werbespruch New Yorks. „Es ist die Stadt, die niemals schläft.“ Auch nicht beim Tennis. (aw/dpa)