Alexander Zverev am Rothenbaum
  • Alexander Zverev hat das Finale am Hamburger Rothenbaum nach großem Kampf verloren.
  • Foto: WITTERS

„Ich habe das Gefühl, ich muss kotzen“: Zverev erlebt unfassbares Final-Drama

Der historische Triumph von Hamburg, er ist ausgeblieben. Alexander Zverev hat ein unfassbar dramatisches Endspiel bei seinem Heim-Turnier am Rothenbaum gegen den Franzosen Arthur Fils nach 3:33 Stunden 3:6, 6:3, 6:7 (1:7) verloren. Der Titelverteidiger, der bis zum Ende kämpfte wie ein Löwe, war dabei schon früh körperlich geschwächt, was allerdings nicht am bandagierten Knie lag.

Vor dem Finale hatte die MOPO Zverev verraten, dass er der erste deutsche Spieler seit 75 Jahren sein könnte, der seinen Titel am Rothenbaum verteidigt. 1948 und 1949 hatte der legendäre Gottfried von Cramm auf der Hamburger Asche triumphiert. Bruder Mischa (37) entfuhr ein „Krass“ auf der Pressekonferenz und der zehn Jahre jüngere Sascha schmunzelte. „Schöne Statistik“, sagte er. „Das wusste ich nicht, aber darüber werde ich nicht nachdenken.“ Es werde einzig und allein darum gehen, „mein bestes Tennis zu spielen. Das wird mein Ziel sein“.

Zverev mit Ansage: „Nummer eins am Ende des Jahres“

Das musste das Ziel sein, denn Zverev wusste über Fils, „wenn er den Ball im Schläger hat, dann ist er einer der besten Spieler Welt“. Schon im Alter von fünf Jahren habe dieser Arthur Fils davon geträumt, irgendwann die Nummer eins der Welt zu sein, sagte der Franzose selbst. Der Weg dahin wird noch lang und steinig werden. Auf Platz 20 ist er nach dem Triumph von Hamburg, mit dem er acht Plätze im Ranking gutmacht, aber schon angekommen.

„Was für eine Woche! Am Anfang der Woche wusste ich nicht, ob ich spielen kann. Jetzt stehe ich mit dem Pokal hier, leider mit dem falschen“, sagte Zverev bei seiner Ansprache auf dem Platz, bei der er den Zuschauern dankte und seinem Team. „Wir haben hohe Ziele“, erklärte er und gab aus: „Wir wollen die Nummer eins werden am Ende des Jahres.“

Fils beginnt mit einem Doppelfehler und dreht dann auf

Wer gedacht hätte, der Franzose, der zuvor nur bei zwei kleineren ATP-Turnieren im Finale stand, könnte nervös beginnen, der sah sich zwar bestätigt. Allerdings nur für ein paar Sekunden. Der 20-Jährige begann nämlich mit einem Doppelfehler. Dann aber drehte er auf. Nach elf Minuten führte Fils 3:0.

Zverev, der in seinen beiden vorherigen Partien gegen den Chinesen Zhizhen Zhang und den Spanier Pedro Martinez kein einziges Mal seinen Aufschlag hatte abgeben müssen, wirkte genervt, insbesondere, als der deutsche Stuhl-Schiedsrichter Timo Janzen bei ein, zwei knappen Entscheidungen zu seinen Ungunsten entschied. Nach einer Viertelstunde aber fand der Hamburger, der während des Turniers mit dem gesamten Clan im Elternhaus in Lemsahl-Mellingstedt wohnte, besser ins Spiel und in die teils spektakulären Grundlinien-Duelle auf dem mit 10.000 Zuschauern ausverkauften Center Court. Das Problem: Zverev nutzte seine Chancen nicht, beim Stand von 1:3 hatte er vier Breakbälle, die Fils allesamt abwehrte.

Zverev muss wegen Magenkrämpfen Auszeit nehmen

Im nächsten Aufschlagspiel kam es zu einer Schrecksekunde. Zverev, der sich vor dem Finale im gesamten Turnier wegen seiner Knieprobleme bei den Seitenwechseln nie hingesetzt hatte, ging urplötzlich auf seine Bank und setzte sich. Er ließ Turnierarzt Dr. Volker Carrero rufen. Es waren dramatische Momente. Im Stadion wurde es plötzlich totenstill. Der Top-Star des Turniers klagte bei drückender Hitze von 29 Grad im Schatten, der auf dem Platz nicht zu finden war, über Übelkeit. „Mir ist super schlecht“, sagte er zu Carrero. „Ich habe das Gefühl, ich muss kotzen.“ Er habe keine Schmerzen, aber „mein Bauch zieht mich runter“. Der Doc verabreichte ihm Elektrolyte. „Das macht aber nicht müde?“, fragte Zverev nach. Carrero verneinte.

Alexander Zverev klagte über Magenkrämpfe, Turnierarzt Dr. Volker Carrero (M.) konnte ihm helfen. IMAGO / Torsten Helmke
Alexander Zverev plagt sich mit Magenkrämpfen
Alexander Zverev klagte über Magenkrämpfe, Turnierarzt Dr. Volker Carrero (M.) konnte ihm helfen.

Später klärte Zverev, der Diabetiker ist, auf, dass sein Blutzuckerspiegel abgesunken sei. Erst ab Mitte des zweiten Satzes habe er sich wieder gut gefühlt.

Fils klagt: „Seit vier Spielen bekomme ich kein Wasser“

Auf dem Platz war nicht zu sehen, dass er weiterhin Probleme hatte. Zverev machte die nächsten fünf Punkte im Spiel, kam aber dennoch nicht entscheidend heran, weil die nächsten fünf Punkte wiederum an Fils gingen, der somit auch die Breakchancen fünf bis sieben abwehrte. Am Ende des ersten Satzes standen für Zverev sogar neun Breakbälle in der Statistik, aber auch Zwischenrufe wie „Jetzt hol dir das verf… Break“, verfehlten die erhoffte Wirkung. Fils hatten hingegen zwei Breakchancen ausgereicht, um den ersten Durchgang nach 55 Minuten für sich zu entscheiden.

Zverev aber blieb am Drücker, war in vielen Phasen der bessere Spieler, das Leid aber blieb dasselbe. Beim Stand von 2:1 hatte der 27-Jährige vier weitere Breakchancen und ließ auch die ungenutzt, obwohl Fils zwischendurch mächtig in Rage war. Schiri Janzen hatte den Shootingstar verwarnt, weil er die zulässige Zeit beim Aufschlag (25 Sekunden) überschritten hatte. Der Mann aus der Olympia-Stadt Paris war fassungslos. „Seit vier Spielen bekomme ich kein Wasser“, schimpfte er. Hintergrund: An der Bank der Spieler ist eine Station integriert, aus der sich die Profis Wasser zapfen können. Auf der Seite von Fils aber war der Stecker nicht drin. Ein Zustand, der gerade ob der Schwüle nie hätte passieren dürfen. Die Frage aber bleibt, warum Fils darauf nicht früher hingewiesen hatte.

Mit dem 17. Breakball schafft Zverev das erste Break

Um 16.47 Uhr war es dann soweit. Zverev riss die Arme hoch und ein Jubelorkan fegte über den Center Court. Wer die Szenen sah, der hätte vermuten können, dass der Hamburger einen Matchball verwandelt hatte. Tatsächlich aber war es ein Breakball. Der 17. (!!!) im Match brachte dem French-Open-Finalisten das erste Break zum 4:2 im zweiten Satz.

17 Minuten später passierten zwei Dinge: Das erste Donnergrollen machte sich am Himmel breit und im Publikum stand ein Mann auf, der sehr enthusiastisch „Steht auf, wenn ihr für Zverev seid“ in die Menge rief, weil der Olympiasieger von Tokio seinen zweiten Satzball hatte. Nun, es stand letztlich außer ihm niemand auf, ganz so viel Euphorie ist beim Tennis dann eben doch nicht zu erwarten, daran aber dürfte es nicht gelegen haben, dass Zverev einen dritten Satzball benötigte, um den zweiten Satz nach 61 Minuten für sich zu entscheiden.

Vor dem dritten Satz wird das Dach geschlossen

Und es kam, was kommen musste. Das Dach über dem Center Court wurde geschlossen. Der ATP Supervisor Hans Jürgen Ochs hatte das entschieden. Fils nutzte die längere Pause, um sich umzuziehen, Zverev, so schien es, hätte am liebsten direkt weitergemacht. Mehr als zwei Minuten tigerte er bereits an der Grundlinie hin und her, bevor Schiri Janzen sein „Time“ ins Mikro rief.

Aber es schien an diesem Tag egal zu sein, ob die Sonne schien oder ob es regnete. Auch unter dem Dach setzte sich das folgende Spielchen fort: Breakchance Zverev, Punkt Fils, Breakchance Zverev, Punkt Fils, Breakchance Zverev, Punkt Fils. Der Rekord war geknackt. Nie zuvor hatte Zverev in einem Match über zwei Gewinnsätze 20 Breakbälle. Dass er sie wieder und wieder nicht nutzen konnte, konnte er sich kaum vorwerfen, sein Gegner packte einfach in Bedrängnis immer und immer wieder sein bestes Tennis aus.

Finale wird zum längsten Match des Turniers

Die Zuschauer, sie sahen ein Match auf starkem Niveau. Als Zverev beim Stand von 3:4 einen Punkt nach einem Ballwechsel mit 24 teils spektakulären Schlägen für sich entschied, schien das Dach fast wegzufliegen am Rothenbaum. Die Temperaturen sanken, das Stadion kochte. Und nach 2:49 Stunden stand fest, dass es nicht nur das beste, sondern auch das mit Abstand längste Match des Turniers werden würde. Diese Bestmarke hatten zuvor Maximilian Marterer und der Koreaner Soonwoo Kwon, die sich in der ersten Runde duelliert hatten, gehalten.

Genau drei Stunden waren gespielt, als Fils seinen 20. Breakball abwehrte. Bei Nummer 21 sollte die Szenerie komplett eskalieren. Fils, ganz fies, servierte von unten. Die Älteren durften sich an das legendäre French-Open-Achtelfinale von 1989 erinnert fühlen, als Michael Chang den großen Favoriten Ivan Lendl auf diese Weise mehrfach düpierte. Diesmal aber ging Fils‘ „Kinder-Aufschlag“ ganz knapp ins Aus. Laut Zverev waren es „20 Zentimeter“, was dezent übertrieben war. Der Franzose machte anschließend dennoch den Punkt und erntete ein Pfeifkonzert, das in der Dezibel-Lautstärke konkurrierte mit dem extrem lauten Regen, der eher aus Dach knallte, als dass er prasselte.

Zverev und Fils liefern sich Auseinandersetzung

Beim nächsten Seitenwechsel rief Zverev Fils zunächst etwas zu, der Franzose baute sich vor dem auf seiner Bank sitzenden Zverev auf. Schiedsrichter Janzen musste bei dem Wortgefecht dazwischen gehen. Szenen, die im Tennis absoluten Seltenheitswert haben. Von der MOPO auf die Szene angesprochen, meinte Zverev: „Ich sage nichts.“ Zuvor hatte er erklärt, dass ihn der Aufschlag von unten „überhaupt nicht“ gestört hätte. „Er kann machen, was er will.“ Fils meinte: „Er war verärgert wegen meines Aufschlags. Ehrlich gesagt habe ich es nicht ganz verstanden, warum er angepisst war.“ Unterkühlte Stimmung zwischen den Konkurrenten.

Arthur Fils redete auf den auf seiner Bank sitzenden Alexander Zverev ein, bevor der Stuhl-Schiedsrichter ihn wegschickte. WITTERS
Arthur Fils redet auf Alexander Zverev ein
Arthur Fils redete auf den auf seiner Bank sitzenden Alexander Zverev ein, bevor der Stuhl-Schiedsrichter ihn wegschickte.

Weltuntergangs-Stimmung am Rothenbaum. Und da der Regen von allen Seiten kam, war an einigen Stellen auch eine gewisse Wetterbeständigkeit auf den günstigeren Plätzen gefragt. Klar aber war: Niemand, der da war, dürfte das bereut haben. Auf dem Platz schien niemand zu ermüden. Im Gegenteil. Das Niveau des immer dramatischeren Matches, es stieg weiter.

Fils kassiert 353.750 Euro Preisgeld

Und schon, als das Match in den Tiebreak ging – übrigens die erste Tiebreak-Entscheidung seit zehn Jahren (Leonardo Mayer gegen David Ferrer) in einem Rothenbaum-Endspiel – war klar, dass das längste Finale der Best-of-three-Zeit am Rothenbaum eigentlich keinen Verlierer verdient hatte. Aber es musste ihn geben – und er hieß Zverev, der im Tiebreak nur einen Punkt machte. Der Handshake, er fiel so aus, dass man erahnen konnte, dass die beiden in nächster Zeit nicht die allerbesten Freunde auf der Tour werden, auch wenn Fils auf der Pressekonferenz ganz versöhnlich erklärte: „Er ist ein toller Typ.“ Über ein sattes Preisgeld durften sich letztlich beide freuen. Zverev kassierte 190.345 Euro, Sieger Fils, der in dieser Woche eigentlich mit seinen Freunden in Cannes urlauben wollte, bevor er nach Hamburg beordert wurde, konnte 353.750 Euro einstreichen. „Meine Freunde haben gesagt, es war eine gute Entscheidung, nach Hamburg zu fahren“, berichtete Fils über seine ersten Glückwünsche, „und ich habe ihnen geantwortet: ‚Ihr habt recht.’“

Arthur Fils feierte in Hamburg den größten Erfolg seiner noch jungen Karrieren. WITTERS
Arthur Fils mit dem Pokal des Turniersiegers
Arthur Fils feierte in Hamburg den größten Erfolg seiner noch jungen Karrieren.

Zverev konnte immerhin die Gewissheit mitnehmen, dass er körperlich auf einem Top-Niveau zu den Olympischen Spielen reisen kann, wo am kommenden Samstag das Tennis-Turnier im Stade Roland Garros beginnen wird. „Ich hätte noch zwei Sätze weiterspielen können“, sagte er auf MOPO-Nachfrage.

Krawietz und Pütz triumphieren im Doppel

Direkt vor dem Einzel-Finale hatte sich das deutsche Olympia-Doppel Kevin Krawietz (Coburg) und Tim Pütz (Usingen) weiteren Rückenwind für die Spiele in Paris geholt. Im Endspiel besiegten sie die Franzosen Fabien Reboul und Edouard Roger-Vasselin 7:6 (10:8), 6:2 und sicherten sich damit ein Preisgeld von 116.220 Euro.

Der neue Ausrichter Tennium zog vor dem Finale ein positives Fazit. „Wir sind super, super glücklich über den Zuschauerzuspruch“, sagte der Spanier Enric Molina. 75.000 Tennis-Fans waren an den neun Turniertagen an den Rothenbaum gekommen, ein Plus von 11.000 Zuschauern im Vergleich zum Vorjahr – und das trotz deutlich gestiegener Preise und der Tatsache, dass es 2023 noch ein kombiniertes Herren- und Damen-Turnier war.

Neuer Ausrichter freut sich über 75.000 Zuschauer

„Es gibt aber noch viele, viele Dinge zu verbessern“, fügte Molina hinzu und nannte beispielhaft die langen Schlangen vor den Essens- und Getränkeständen, die zu leichtem Unmut unter Zuschauern geführt hatten. Insgesamt aber habe man gesehen, „dass das Turnier einen Schritt nach vorn gemacht hat“, wie Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennis Bundes (DTB) festhielt.

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Die nächsten Schritte sollen folgen. Tennium, ein Unternehmen mit Sitz in Barcelona, hatte einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen, hält die Lizenz also bis 2028. In diesem Jahr lebte das Turnier davon, dass Zverev trotz seiner Knieprobleme nach Hamburg kam und bis zum Ende im Turnier blieb. Der Lokalmatador war allerdings auch der einzige Top-Ten-Spieler im Feld. Molina zeigte sich zuversichtlich, künftig „einige Weltklasse-Spieler hier zu haben“. 

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Ob der neue Termin dabei hilft, wird sich zeigen. 2025 wird das Turnier direkt vor den French Open ausgetragen. Im Hauptfeld wird dann schon ab Sonntag (18. Mai) aufgeschlagen, das Finale steigt an einem Samstag (24. Mai). Molina hofft, dass man bis dahin in Hamburg auch einen neuen Titelsponsor gefunden hat. 

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