Keine Talente mehr: Alarm bei deutschen Skispringern
Noch gehören die deutschen Skispringer zur Weltklasse, doch neue Wellingers sind kaum in Sicht. Nach Olympia 2026 droht der Absturz.
Karl Geiger wird 33 Jahre alt sein, Markus Eisenbichler fast 35, Pius Paschke beinahe 36, selbst der Berufsjugendliche Andreas Wellinger wird 2026 die 30 überschritten haben: Die deutschen Skisprung-Helden sind in die Jahre gekommen, bei den kommenden Olympischen Spielen werden wohl Herren gesetzten Alters die Kernmannschaft bilden. Nach einer ungemein erfolgreichen Ära drohen die DSV-Adler den Umbruch zu verpassen – der Mangel an Elite-Nachwuchs alarmiert auch Ex-Bundestrainer Werner Schuster.
Ex-Cheftrainer und heutiger Nachwuchscoach Schuster ist zurecht besorgt
„Es können auch großen Skisprung-Nationen die Quellen versiegen. Die Finnen waren 40, 50 Jahre an der Weltspitze. Und jetzt ist seit zehn Jahren keiner mehr dort“, sagte Schuster im Podcast „Ski happens“: „Da muss man schon aufpassen, dass das Rad in Schwung bleibt.“
Der Österreicher, von 2008 bis 2019 deutscher Cheftrainer und seit dem vergangenen Sommer im DSV-Nachwuchsbereich tätig, ist zurecht besorgt. Das Team der Saison 2023/24, die an diesem Wochenende mit dem Weltcup-Finale in Planica endet, besteht im Nukleus aus den Leistungsträgern der Schuster-Zeit. Und diese haben freilich ein Ablaufdatum: Nach 2026 könnte eine riesige Lücke klaffen.
Schuster sieht das Problem auch in den kleinen Weltcup-Teams
Unter Schusters Nachfolger Stefan Horngacher schaffte aus der jüngeren Generation nur Philipp Raimund (23) den dauerhaften Sprung ins Weltcup-Team. Der schon unter Schuster etablierte Constantin Schmid (24) hat sich eher zurückentwickelt, David Siegel (27), der zum Bindeglied hätte werden könnte, hörte verletzungsgeplagt auf.
Natürlich: Mit dominierenden Persönlichkeiten wie Geiger, Eisenbichler und Wellinger war das deutsche Weltcup-Team zumeist eine geschlossene, minimal permeable Gruppe – nur fünf, maximal sechs Athleten dürfen pro Nation starten. „Wie soll da ein junger Sportler reinkommen?“, fragt Schuster. Nicht jeder hat die Geduld, wie Spätdurchstarter Paschke mehr als ein halbes Jahrzehnt im zweitklassigen Continental Cup auf seine Chance zu warten.
Junioren-Vizeweltmeister Adrian Tittel (20) gilt als größtes deutsches Talent
In Planica wäre die Reinrutsch-Möglichkeit gegeben, Raimund hat die Saison beendet, Schmid fehlt auch. Doch in den letzten Saisonwochen geht es traditionell zum Skifliegen, das soll dem größten deutschen Talent, Junioren-Vizeweltmeister Adrian Tittel (20), noch nicht zugemutet werden. Stattdessen rücken zwei Springer – Felix Hoffmann (26) und Luca Roth (24) – ins Team, die nicht mehr für eine große Karriere infrage kommen.
Dem aktuellen Bundestrainer Horngacher ist das Perspektiv-Problem nicht hauptverantwortlich anzulasten, der Österreicher kann nicht selbst für den Nachwuchs sorgen – zumindest nicht alleine: Sohn Amadeus (16) springt bereits für den DSV im viertklassigen Alpen-Cup. Die strukturelleren Probleme indes entstehen früher.
Es bleibe zu wenig Geld für den Nachwuchs übrig
„Es gibt weniger Kinder, es gibt viel mehr Angebot, aber auch eine gewisse Bequemlichkeit“, sagt Schuster. In seiner Heimat scheint das Talent-Reservoir unerschöpflich: Den zweitklassigen Continental Cup führen drei Österreicher an, darunter Schusters Sohn Jonas, den drittklassigen FIS-Cup gleich acht – Konkurrenz automatisiert das Geschäft. In Deutschland hingegen müssen die wenigen Top-Nachrücker maximal gefördert werden, um Weltcup-Niveau zu erreichen.
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Martin Schmitt sieht darin eine finanzielle Abwärtsspirale. „Wenn der Verband im Spitzenbereich viel mehr investieren muss, um international mitzuhalten“, sagte der einstige Topstar dem „Deutschlandfunk“, „bleibt auch nicht unbedingt mehr Geld übrig, um den Nachwuchs dann entsprechend auszustatten“. (lg/sid)