Prominente Fälle: Versinkt Tennis im Doping-Sumpf? „Ekelhaft für unseren Sport!“
Als Jannik Sinner vor einem Jahr in Melbourne den Tennis-Thron eroberte, lag dem sympathischen Athleten die Sportwelt zu Füßen. „Welche Schönheit, welch Glanz, welches Wunder“, schrieb die „Gazzetta dello Sport“ damals. Ein Wunder wäre eine erfolgreiche Titelverteidigung des italienischen Weltranglistenersten bei den am Sonntag beginnenden Australian Open aber keineswegs mehr. Doch der Glanz seines Erfolgs ist inzwischen von einem Doping-Schatten getrübt.
Sinners Dopingfall liegt aktuell beim Internationalen Sportgerichtshof Cas, nachdem die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada Einspruch gegen den Freispruch eingelegt und eine Sperre von ein bis zwei Jahren gefordert hat. In Melbourne darf der 23-Jährige aber starten – genau wie Iga Swiatek.
Doping-Sperren für Swiatek und Purcell
Die fünfmalige Grand-Slam-Turniergewinnerin verbüßte eine einmonatige Sperre, nachdem bei der Polin das Mittel Trimetazidin nachgewiesen wurde. Erst kürzlich stimmte der Australier Max Purcell, Doppel-Gewinner bei den US Open, einer vorläufigen Sperre zu, weil er bei einer Vitamin-Infusion den zulässigen Wert überschritt.
Djokovic und Kyrgios kritisieren das System
All diese Fälle mit teils umstrittenen Urteilen und einer fragwürdigen Kommunikation lassen die Frage zu: Hat der Tennissport ein Dopingproblem? Ja, meint Australiens Tennisstar Nick Kyrgios. „Zwei Weltranglistenerste, und beide des Dopings überführt – das ist ekelhaft für unseren Sport. Das wirft ein schreckliches Licht auf die Integrität des Tennissports“, sagte der Wimbledon-Finalist von 2022.
Auch Novak Djokovic tritt in dieser Sache als Kritiker auf. Er glaube zwar weiter, dass Tennis ein „sauberer Sport“ sei, sagte der 24-malige Grand-Slam-Turniersieger. „Ich hinterfrage nur, wie das System funktioniert. Warum bestimmte Spieler nicht genau so behandelt werden wie die anderen Spieler.“ Er zeigte sich „wie die meisten anderen Spieler“ frustriert, dass sie fünf Monate „im Dunkeln gelassen“ worden seien.
Transparenz-Problem
Sinner wurde im März zweimal positiv auf das anabole Steroid Clostebol getestet, von der zuständigen International Tennis Integrity Agency (Itia) aber freigesprochen, weil ihm laut der Untersuchungskommission kein vorsätzliches Verschulden nachgewiesen werden konnte.
Sinner erklärte, die verbotene Substanz sei bei einer Massage über die Hände seines Physiotherapeuten in seinen Körper gelangt. Der Betreuer habe ein in Italien rezeptfreies Clostebol-haltiges Spray benutzt, um einen Schnitt an seinem Finger zu behandeln.
Publik gemacht wurden der Freispruch und die Positivtests aber erst im August. Ähnlich verlief es im Fall Swiatek. Im August wurde die 23-Jährige positiv auf das Mittel Trimetazidin getestet. Ihre Erklärung: ein verunreinigtes Arzneimittel. Die Ermittler werteten es als nicht schwerwiegenden Fall und sperrten Swiatek für einen Monat. Die Öffentlichkeit erfuhr von all dem aber erst dreieinhalb Monate später.
DTB-Boss: „Darf kein Geschmäckle geben“
Die zweimalige Grand-Slam-Turniergewinnerin Simona Halep, die wegen einer positiven Dopingprobe und Unregelmäßigkeiten im Athletenpass zunächst für vier Jahre gesperrt worden war, sprach hinterher von „großen Unterschieden in Behandlung und Urteil“ und warf der Itia „böse Absicht“ vor.
Präsident Dietloff von Arnim vom Deutschen Tennis Bund forderte mehr Transparenz, „da darf es auch kein Geschmäckle geben, dass eventuell mit zweierlei Maß gemessen wird“. Djokovic rätselte öffentlich: „Vielleicht ist der Grund die Weltrangliste, oder vielleicht haben manche Spieler mehr finanzielle Mittel und bessere juristische Hilfe.“
Die Itia wies den Vorwurf der Ungleichbehandlung zurück, auch bei der Geheimhaltung der Suspendierungen habe man gemäß den Anti-Doping-Regeln gehandelt.
Was bringt Doping im Tennis?
Doping-Experte Fritz Sörgel hält die Vorgehensweise dennoch für „einen Skandal“. Der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg meinte, Sinner müsse gesperrt werden, weil jeder Athlet selbst dafür verantwortlich ist, was in seinen Körper gelangt. Der Einspruch vor dem Cas müsse Erfolg haben, „ansonsten macht sich die Wada lächerlich“, sagte Sörgel der Deutschen Presse-Agentur.
Dass Doping in der eher technischen Sportart Tennis kaum etwas bringt, hält Sörgel für einen Irrglauben. „Ausdauer, Reaktionsgeschwindigkeit – alles Sachen, die mit Dopingmitteln forciert werden können“, sagte er. Durch die enorme Belastung für Spitzenspieler auf der Tennis-Tour sei zudem klar, „dass sie versuchen, sich mit allen möglichen Mitteln leistungsfähig zu halten“.
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Doping im Tennis gab auch schon früher – genau wie kuriose Erklärungen und dreiste Lügen. Die Italienerin Sara Errani erklärte ihren positiven Letrozol-Befund 2017 damit, dass bei der Zubereitung eines Tortellini-Gerichts Inhalte einer Femara-Tablette in das Essen gelangt sein müssten. 20 Jahre zuvor belog Andre Agassi die ATP wegen seines positiven Methamphetamin-Tests, wie er später in seiner Biografie zugab. (dpa/tm)