Verbände stinksauer: Schenkt Deutschland Olympia 2028 einfach ab?
Die Post aus Berlin kam kurz vor Weihnachten – und verdarb einigen Spitzensportverbänden gehörig das Fest. Angesichts von kapitalen Mittelkürzungen sprach der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) empört von „Missachtung“, stellte die Olympia-Ziele 2028 in Frage und erklärte das ganze System für gescheitert. Die Turner befürchten Finanzlücken, die ganz arg beschnittenen Judoka gehen noch von einem Irrtum aus.
„Mit der Mittelkürzung in Millionenhöhe hat der DLV nun auch die Bestätigung in der Mittelvergabe, dass das Potenzialanalysesystem als Verfahren einer potenzial- und erfolgsorientierten Verbandsförderung gescheitert ist“, heißt es in einer Reaktion des DLV gegenüber dem Sport-Informations-Dienst. „Stand jetzt“ könne man im Spitzensportbereich „unter den aktuellen finanziellen Rahmen-Bedingungen kaum noch bundesfinanzierte Lehrgänge im Jahr 2025 durchführen.“
Kürzungen auch für Schwimmer ein „Schlag“
Auch die Schwimmer klagten über Einschnitte – trotz des Olympiasieges ihres neuen Stars Lukas Märtens in Paris und besserer Medaillenausbeute gegenüber Tokio. Die Kürzungen hätten zur Folge, dass „nicht alle der geplanten Maßnahmen durchführbar sein werden“, sagte DSV-Sportdirektor Christian Hansmann: „Das ist in dieser Phase des Aufschwungs ein besonders herber Schlag ins Kontor, der die vereinbarten Medaillenziele für LA 2028 in weite Ferne rücken lässt.“
Das Bundesinnenministerium hatte den olympischen Sommersportverbänden rund 41 Millionen Euro für das Jahr 2025 in Aussicht gestellt, entsprechende Bescheide gingen den Verbänden unter der Woche zu. Diese Entscheidung basiert auf einer gemeinsamen Empfehlung einer Förderkommission, die aus Mitgliedern des BMI und des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) besteht. Die Empfehlung entstand auf Grundlage des zuletzt veröffentlichten Berichtes der Potenzialanalysekommission (PotAS).
DLV fällt vernichtendes Urteil
Doch diesem System stellt der DLV ein vernichtendes Urteil aus: „Schablonendenken, überbordende Bürokratie und fehlende sportartspezifische Kompetenz lähmen die Spitzensportverbände, besonders in trainingssensiblen Phasen und in der unmittelbaren Vorbereitung der Wettkampfhöhepunkte, und führen zu folgenschweren Fehleinschätzungen.“
Was die DLV-Führung besonders empörte: „Der Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye wird nur wenig Potenzial für die Olympischen Spiele 2028 zugerechnet.“ Zudem wirft der DLV der Analyse-Praxis „die Missachtung der Europameisterschaften 2022 im eigenen Land“ vor. Die Kürzungs-Konsequenz: „Die Auswirkungen auf Medaillenpotenziale sind gravierend und erfordern eine Anpassung der Medaillenziele für Olympia 2028.“
Judoka und Turner klagen ebenfalls
Der Deutsche Judo-Bund brachte von den Paris-Spielen Silber für Miriam Butkereit mit. Zu wenig Erfolg, zu wenig Potenzial – meint PotAS. Die Quittung: „Wir haben eine Nachricht erhalten, dass wohl eine Reduzierung der Fördermittel um rund ein Drittel vorgesehen ist“, sagte DJB-Sportvorstand Michael Bazynski dem SID. Ex-Bundestrainer Bazynski befürchtet einen „riesigen Einschnitt“, setzt aber auf Korrektur: „Die Berechnung ist nicht nachvollziehbar und wir befinden uns in klärenden Gesprächen.“
Der Deutsche Turner-Bund erhält 2025 zwar 25 Prozent mehr Geld – mit einem Haken. „Dies ist fast ausschließlich auf den erheblichen Aufwuchs in der Rhythmischen Sportgymnastik zurückzuführen“, sagt DTB-Sportvorstand Thomas Gutekunst mit Verweis auf Olympiasiegerin Darja Varfolomeev, mit gerade 18 Jahren nun auch Deutschlands Sportlerin des Jahres.
„In dieser Sportart kam man von niedrigem Förderniveau, bei dem zum Beispiel Darja Varfolomeev im letzten Zyklus mangels Ressourcen einige Reisen zu Lehrgängen und Weltcups selbst finanzieren musste“, so Gutekunst: „In den anderen olympischen Sportarten im DTB – Gerätturnen und Trampolinturnen – werden die Bedarfe für eine Jahresplanung auf internationalem Top-Niveau bei steigenden Kosten in vielen Bereichen aus Bundesmitteln nicht umfassend gedeckt werden können.“
Weniger Förder-Gelder für Reitsport, mehr für Rugby
Selbst bei den erfolgreichen Reitern und Reiterinnen hielt sich die Begeisterung über die Weihnachtspost in Grenzen. „Im Bereich des Leistungssportpersonals gibt es leider keinen Mittelaufwuchs“, sagte Dennis Peiler, Geschäftsführer Sport der Deutschen Reiterlichen Vereinigung: „Positiver gestaltet sich die voraussichtliche Fördersumme bei den Projektmitteln 2025.“ Zufrieden ist dagegen der Nischensport Rugby, der mehr Mittel fürs Personal erhält und einen Vollzeit-Bundestrainer für die Frauen einstellen kann.
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Es wird ein hartes Jahr 2025 für viele deutsche Verbände. Der mündliche Weihnachtssegen aus Berlin, der die Briefpost begleitete, dürfte so vielen wie Hohn vorkommen. „Unsere Athletinnen und Athleten geben alles für ihren Sport“, hatte Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, gesagt: „Dafür haben sie die ganze Unterstützung verdient und deswegen fördern wir die Spitzenverbände bestmöglich.“ (sid/tm)