Vierschanzentournee: Überraschungs-Sieger kann nicht mehr riechen und schmecken
Und dann jubelte Thomas Diethart wieder in Garmisch-Partenkirchen. Nach all diesen schönen und schweren Jahren, elf fast auf den Tag genau. Kein überschwänglich-unbedarfter Jubel wie nach seinem Sieg am Neujahrstag 2014, dem die Woche seines Skisprung-Lebens folgte. Sondern nun, auf dem Trainerturm am Silvestertag 2024, wohldosiert – genüssliche Freude beim Schanzenrekord seines Schützlings Eva Pinkelnig.
Diethart, jener unwahrscheinlichste aller Tourneesieger, hat das Rampenlicht gegen den Hintergrund getauscht. Und der heute 32-jährige Österreicher ist fein damit. „Ich erinnere mich natürlich gerne an die Zeit zurück, auch wenn das damals unfassbar schnell gegangen ist“, sagte Diethart bei Eurosport.
Thomas Diethart ist ganz kurz im siebten Sportler-Himmel
Ein gutes Jahrzehnt nach seinem Wunderwinter, in dem er aus dem Nichts kam und wieder im Nichts verschwand, kehrte Diethart in Garmisch zur Tournee zurück. Gut: Er kam, als die alten Kollegen gingen, der Stefan Kraft, der Michael Hayböck, mit denen er noch selbst gesprungen war und die kurz vor dem Partenkirchener Frauen-Weltcup ihre Qualifikation ausgetrugen. Doch Diethart, mittlerweile Co-Trainer der ÖSV-Springerinnen, hat seinen Platz gefunden, baut seine zweite Karriere auf. Nachdem er die erste beinahe mit dem Leben bezahlt hatte.
Rückblende: 1. Januar 2014, Garmisch-Partenkirchen. Nobody Diethart (21), überraschend ins ÖSV-Team gerutscht und zwei Tage zuvor in Oberstdorf schon unerwartet Dritter, holt sensationell im sechsten Weltcup-Einsatz seinen ersten Sieg. Kurz darauf triumphiert Diethart auch in Bischofshofen, gewinnt die Tournee. Österreich feiert sein „Four-Hit-Wonder“. Der Boulevard entdeckt den unbedarften „Flachland-Adler“ aus Tulln an der Donau als „Didl der Nation“, dessen Eltern – rot-weiß-rot geschminkt und mit Plüschschwein – zu TV-Attraktionen werden. Diethart ist ganz oben. Ganz kurz.
2017 verletzt sich Thomas Diethart lebensgefährlich
Es ist der bis heute vorletzte Tourneesieg der Österreicher, im Folgejahr gewinnt Kraft. Diethart selbst holt 2014 noch Team-Olympiasilber in Sotschi, danach folgt der Absturz – wortwörtlich. 2016 crasht er schwer, 2017 erneut und lebensgefährlich: Einblutung ins Gehirn, Lungenquetschung, Gesichtsverletzungen und im Krankenhaus die Erkenntnis: „Das war es.“ Bitteres Souvenir: Seitdem fehlen Diethart Geschmacks- und Geruchssinn.
Er orientiert sich um, geht zur Basis: Im Deutschen Skiverband betreut er ab 2020 13- bis 16-Jährige. „Ich habe in meiner Karriere so ziemlich alles miterlebt. Das ist ein Vorteil, solche Erfahrungen weitergeben zu können“, sagt Diethart. Und wieder nimmt sein Leben eine märchenhafte Wendung.
Diethart reist 2022 zu den Olympischen Spielen
Sein Heimatverband entdeckt ihn neu, Diethart wechselt zum ÖSV. Und dann kommt Corona: Weil sich Frauen-Co-Trainer Romed Moroder vor Olympia in Peking nicht impfen lassen will, ist er raus, Diethart bekommt den Job. Und weil Cheftrainer Harald Rodlauer mit infizierten Sportlerinnen Kontakt hatte, fuhr Diethart schließlich als Interims-Boss nach China.
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Er bleibt im System, mittlerweile als Assistent von Rodlauers Nachfolger Bernhard Metzler, zuvor – die Skisprungwelt ist klein – Co-Trainer von Stefan Horngacher bei Deutschlands Männern. Wohin Diethart der Weg führt? Er ist noch jung, irgendwann könnte der Posten als Männer-Nationaltrainer Thema werden. Gewiss, das wäre märchenhaft. Aber mit Märchen kennt sich der für zehn Tage beste Skispringer der Welt schließlich aus. (sid/js)