Verkehrte Welt bei St. Pauli: So schön kann meckern sein
Den Klassenerhalt hat der FC St. Pauli nach dem ungefährdeten 2:0-Heimsieg gegen Eintracht Braunschweig so gut wie in der Tasche und grüßt von Platz eins der Rückrundentabelle. „Schönes Ding“, sagt Timo Schultz. Die Tatsache, dass sich der Trainer nach den 90 Minuten am Millerntor vor allem auf die nachlässige Chancenverwertung einschoss, zeigt, wie gut die Kiezkicker geworden sind und es ihrem Verein im Frühjahr 2021 sportlich geht. Meckern auf hohem Niveau.
Man muss es sich leisten können und St. Pauli kann es sich leisten. Die Braun-Weißen sind die beste Rückrundenmannschaft, haben nur eines der letzten neun Spiele verloren und sind in der echten Tabelle auf Rang acht geklettert – so hoch wie seit dem 4. Spieltag nicht mehr.
Verkehrte Welt bei St. Pauli So schön kann meckern sein
Noch vor ein paar Monaten wäre es undenkbar gewesen, dass sich Schultz und auch viele seiner Spieler nach einem 2:0-Sieg (zu Null!) am Millerntor ärgern und diesen Ärger auch noch ausführlich artikulierten, teilweise ungefragt.
„Scheißegal, Hauptsache gewonnen!“, hätte es im Dezember, Januar und Februar in kollektiver Erlösung geheißen. Das Kritisieren übernehmen die Sieger mittlerweile selbst. Muss ein schönes Gefühl sein: Gewinnen und bemängeln. Siegen und mäkeln, dass es besser geht.
Von ganz unten aufgestiegen: St. Pauli stand zehn Spieltage auf Rang 17
„Wenn man überlegt, woher wir kommen, dann ist das schon kurios, dass wir jetzt hier stehen und die schlechte Chancenverwertung beklagen“, sagte Sportchef Andreas Bornemann nach dem zehnten Sieg der Saison am Montagabend am Spielfeldrand und schüttelte schmunzelnd den Kopf.
St. Pauli kommt aus der Hölle der Tabelle. Wer die Kiezkicker derzeit spielen sieht, der kann kaum noch glauben, dass die Braun-Weißen zehn Spieltage in Serie auf Platz 17 standen, noch bis Mitte Januar – wie eingemauert. Gelähmt schien auch der ganze Verein.
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„Stolz“ ist Schultz auf seine Mannschaft und das, was alle gemeinsam in den vergangenen Wochen erreicht haben. 38 Punkte nach 27 Spielen, damit hatte auch der optimistische Ostfriese „nicht gerechnet“, und das hat nichts damit zu tun, dass er in Mathe nie gut gewesen sei.
Glückwünsche will der Coach nicht entgegennehmen für den Klassenerhalt und dies auch künftig nicht tun. Das hat zwei Gründe. Zum einen, so Timo Schultz am stürmischen April-Tag nach dem sechsten Heim-Dreier, sei der Verbleib in Liga zwei rechnerisch noch nicht gesichert. Zum anderen aber, und das ist ihm noch wichtiger, sei der Klassenerhalt kein Ziel, das man ausrufen und zu dessen Erreichen man gratulieren sollte, sondern eine „Selbstverständlichkeit“.