Manuel Neuer will in Katar auch abseits des Platzes seine Meinung sagen.
  • Manuel Neuer will in Katar auch abseits des Platzes seine Meinung sagen.
  • Foto: imago/Laci Perenyi

Neuer kontert homophoben WM-Botschafter: „Wir werden in Katar Flagge zeigen“

Per Linienflug LH632 ging es für das DFB-Team gestern von Frankfurt aus ins Kurz-Trainingslager in den Oman. Kurz vor Mitternacht kamen Bundestrainer Hansi Flick (57) und seine Spieler in Maskat an und zogen ins Kempinski-Hotel. Das Unternehmen WM hat begonnen, nur noch ein Testspiel wartet – morgen (18 Uhr, live bei RTL) gegen den Oman. Anschließend bezieht das DFB-Team Quartier im „Zulal Wellness Resort“ an der Nordküste Katars. Die MOPO bat Kapitän Manuel Neuer vorab zum großen Interview über die deutschen WM-Aussichten und seine jüngsten Verletzungen.

Herr Neuer, warum ist es für die Nationalmannschaft wichtig, dass die Spieler des FC Bayern als Tabellenführer zur WM nach Katar reisen?

Manuel Neuer (36): Auf jeden Fall für das Selbstbewusstsein. Das dokumentiert den Standpunkt: Wo stehe ich persönlich – und wo stehen die Spieler, die jetzt dann auch im DFB-Trikot zusammenspielen. Nehmen wir die Weltmeisterschaft 2014: Da war unser Selbstbewusstsein als Bayern-Block im Vorfeld auch groß. Es ist wichtig, ein gutes Gefühl im Vorfeld zu haben. Vor allem auch für mich persönlich, weil ich aus einer Verletzung komme.

Gab es während dieser Zeit Momente, in denen Sie gedacht haben: Oh, das könnte mit der WM doch noch knapp werden?

Es war vor allem am Anfang nicht leicht. Für mich hieß es in meiner Rolle als Patient: Wir schauen von Tag zu Tag. Und das ist so ein ekliges Gefühl. Du wartest darauf: Wann wird es besser? Wann kommt endlich dieser Wendepunkt? Es gab in dem Sinne keinen richtigen Plan, der mir sagte: Pass auf, es dauert jetzt zwei Wochen und dann kannst du wieder diese und jene Belastung im Training gehen. Es wäre einfacher für mich und meinen Kopf gewesen, sich daran zu orientieren. Trotzdem hatte ich keine Selbstzweifel. Ich war mir sicher, dass ich für die Weltmeisterschaft bereit sein und auch im Vorfeld noch Spiele machen werde.

Neuer beschwört gute Stimmung bei den Torhütern

Von DFB-Seite wurde Ihre Rolle als unangefochtene Nummer eins während Ihrer Verletzung nie in Frage gestellt. Hilft das?

Das war schlichtweg kein Thema. Das Trainerteam hat von Anfang an festgelegt, dass ich die klare Nummer eins bin. Wir wissen, dass wir Weltklasse-Torhüter in unseren Reihen haben. Aber die Positionierung ist sowohl Marc-André ter Stegen als auch Kevin Trapp klar kommuniziert worden. Wir verstehen uns alle sehr gut innerhalb unseres Torwartteams. Deshalb war es auch selbstverständlich, dass auch nie etwas anderes von den Torwart-Kollegen kam.

Spüren Sie bei der 95er Generation um Joshua Kimmich und Leon Goretzka einen besonderen Drang, ihre bisherigen Turniererlebnisse mit der Nationalmannschaft mit einem Erfolgserlebnis vergessen zu machen?

Ja, der Wille ist groß bei ihnen! Ich würde aber nicht nur diese beiden Spieler hervorheben. Nehmen Sie Leroy Sané, Serge Gnabry und Jamal Musiala – auch das sind ehrgeizige Spieler. Bei Leon und Jo sieht man halt aufgrund ihrer Position eher die kämpferischen Situationen, und die anderen drei sind mehr für die Offensivaktionen verantwortlich. Leroy sprintet einem Gegenspieler aber zum Beispiel auch 50 Meter hinterher und grätscht ihm dann den Ball weg. Wir sind alle sehr hungrig und wissen selbst, dass wir bei den Turnieren zuletzt nicht überzeugt haben. Darum werden wir alles in die Waagschale werfen, um so weit wie möglich zu kommen und die Chance nutzen, um diesen Titel zu spielen.


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Niklas Süle spielt zwar mittlerweile bei Borussia Dortmund, gehört aber auch dieser Generation an. Wie gefällt er Ihnen eigentlich als Rechtsverteidiger?

Das macht er auf jeden Fall sehr gut. Niki ist ein schneller Spieler, gerade wenn er in Fahrt kommt. Das haben wir hier beim FC Bayern auch schon erlebt. Er ist eine super Option für uns hinten rechts, was die Defensive betrifft. Wir haben 2014 in Brasilien ja ähnlich gespielt mit dem gelernten Innenverteidiger Benedikt Höwedes als Linksverteidiger. Es ist wichtig, eine gute Defensive zu haben. Wenn du von Beginn an bei einem Turnier sicher stehst, ist das fast die halbe Miete. Von daher traue ich Niki diese Position zu.

Beim DFB setzt man in Katar auch große Hoffnungen in den Bundestrainer: Warum kann Hansi Flick eine Mannschaft so gut auf Turniere einschwören?

Er kann das so gut, weil er Menschenkenntnis hat. Hansi weiß, wie er jeden einzelnen Spieler anpacken muss. Zudem ist er sehr kommunikativ und spricht viel mit den Spielern. Und er hat ein klares Ziel. Lassen Sie mich das Champions-League Turnier 2020 in Lissabon als Beispiel nehmen.

Gerne.

Es war wichtig, dass wir mit dem FC Bayern München damals eine gewisse Vorbereitung auf dieses zuvor nie da gewesene Turnier hatten. Es war nicht so, dass wir nach der Corona-Unterbrechung in der Bundesliga vorne weggaloppiert sind. Hansi hat uns zu verstehen gegeben: Wir müssen kämpfen, arbeiten und uns auf die Wettbewerbe fokussieren. Ich vergleiche das gerne mit Olympischen Spielen.

Inwiefern?

In Lissabon hatten wir den Fokus auf dieses eine Turnier legen können. Wie es die Athleten bei den Olympischen Spielen stets tun. Sie legen ihr komplettes Training über einen langen Zeitraum darauf aus, um in diesem Moment erfolgreich zu sein. So ähnlich versucht uns der Bundestrainer auch auf die Weltmeisterschaft in Katar einzuschwören, die zugegeben für uns alle ein kleines Experiment ist. Weil niemand Turnier-Erfahrungen im Winter mitten in der Saison gesammelt hat.

Das Turnier in Lissabon war eine ähnliche Unbekannte.

Die für uns positiv endete, genau. Wir Bayern-Spieler sind jetzt alle gut drauf und zurück in der Spur. Das ist zumindest mein Gefühl. Dieses Gefühl müssen wir einfach nach Katar mitnehmen, in die Mannschaft hineintragen und auf die anderen Spieler übertragen. Ich freue mich, dass wir uns nun alle treffen.

Neuer entsetzt über homophobe Aussagen des WM-Botschafters

Die Diskussionen um und über das Gastgeberland reißen kurz vor Turnierstart nicht ab – im Gegenteil. Sie werden durch homophobe Aussagen von WM-Botschafter Khalid Salman noch angeheizt. (Er hatte Homosexualität in einer ZDF-Doku als „geistigen Schaden“ bezeichnet, die Red.)

Neuer (schüttelt den Kopf): Diese Aussage ist einfach unglaublich …

Wie schaffen Sie es, sich auf das sportliche Geschehen zu konzen­trieren – und gleichzeitig ein mündiger Nationalspieler zu sein?

Das ist auf jeden Fall ein Spagat für uns. Und das ist auch nicht so leicht. Es gab auch früher bei Großveranstaltungen Themen neben dem Sport: Die Townships in Südafrika, die Favelas in Brasilien, Russland, Winter-Olympia in Peking. Wir kommen immer näher zum Turnier, und dann äußert sich plötzlich einer der WM-Botschafter Katars auf diese absolut inakzeptable Weise. Natürlich wollen wir uns als Fußballer auf das Sportliche fokussieren – und zwar auf eine Weltmeisterschaft. Das ist das Größte, was du spielen kannst!

Was heißt das konkret?

Wir werden in Katar Flagge zeigen. Wir werden unsere Werte dort vertreten. Die Frage ist ja: Welche Konsequenzen zieht es nach sich, wenn wir uns dort sehr offensiv positionieren? Das weiß man ja auch nicht. Keiner kann in die Zukunft schauen. Darum gehe ich fest davon aus, dass wir uns als deutsche Nationalmannschaft und DFB positionieren werden. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon gemacht. Aber auf welche Art und Weise es jetzt der Fall sein wird, das wissen wir alle noch nicht.

Neuer: „Für uns ist das keine Kulturreise“

Hilft die abgelegene Lage des Teamquartiers vielleicht dabei, sich mehr auf das sportliche Geschehen konzentrieren zu können?

In Südafrika war die Situation ähnlich: Wir waren in Pretoria etwas weiter weg vom Geschehen und waren für uns. Im Campo Bahia war es genauso. Wir waren nicht unter den Leuten in Brasilien. Für uns ist es nie eine Kulturreise. Natürlich nimmst du auf den Fahrten etwas mit – in Doha hast du halt die Stadt – aber der Fokus liegt wie immer auf dem Fußball.

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Am 23. November beginnt für das DFB-Team die WM. Wie entscheidend ist das Spiel gegen Japan?

Wir müssen gewarnt sein. Für mich persönlich ist das erste Spiel in einem Turnier immer das wichtigste. Japan ist eine unangenehme Mannschaft, die sehr diszipliniert spielt. Gleichzeitig ist sie durch die Fähigkeiten ihrer Einzelspieler unberechenbar. Wir haben ja einige Japaner in der Bundesliga. Ich finde es schwierig, gegen solche Teams zu spielen. Ich mag es lieber, gegen Mannschaften wie Spanien zu spielen – die kennt man. Da weiß man, wer einem gegenüber steht. Auf solche Gegner kannst du dich besser vorbereiten. Deshalb wird es schwierig. Aber danach wissen wir, wo wir stehen.

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