„Wir sind nachlässig geworden“: Wie Asien gerade heftig von Corona überrollt wird
Bangkok/Taipeh/Phnom Penh/Tokio –
Während in Europa die Pandemie langsam abflaut, nimmt sie in Asien nochmal volle Fahrt auf. Dabei waren viele Länder dort einst Musterschüler in Sachen Corona-Management – obwohl, oder vielleicht weil, die Pandemie im nahen China ihren Anfang nahm. Doch nun kämpfen Länder wie Thailand oder Taiwan mit Corona-Rekordwerten. Was ist da los?
„Es geht um Leben oder Tod“: Kambodschas Regierungschef Hun Sen warnte seine Landsleute schon Ende April, dass sich die Corona-Lage zuspitzt. Wenige Tage später war es dann so weit: Kambodscha verzeichnete mit knapp 950 Neuinfektionen in 24 Stunden bei rund 16,5 Millionen Einwohnern den höchsten Wert seit Pandemie-Beginn. Mit etwas Verzögerung hat die Eskalation auch den Nachbar Thailand erreicht: Dort wurde gestern ein Neuinfektionsrekord registriert – 9600 Fälle bei knapp 70 Millionen Einwohnern.
In Japan starben zuletzt mehrere Covid-Kranke wegen fehlender Behandlung
Selbst Taiwan, das letzten November mit 24 die bislang meisten täglichen Neuinfektionen verzeichnete, kämpft nun gegen eine massive Corona-Welle: 333 neue Ansteckungen meldeten die Behörden gestern – für das ostasiatische Land mit knapp 24 Millionen Einwohner eine enorme Zahl. Seit Beginn der Pandemie hat es nur rund 2000 Infektionen gegeben – mehr als ein Viertel stammt damit aus den letzten Tagen.
Auch Japan, wo in wenigen Wochen die Olympischen Spiele stattfinden sollen, meldet Höchstwerte. Vielerorts sind die Kliniken schon völlig überfüllt, in Osaka starben zuletzt mehr als ein Dutzend Covid-Kranke, weil sie nicht rechtzeitig behandelt werden konnten. „Ich bin mir sicher, die Menschen im Ausland sind schockiert, wenn sie sehen, was in Japan passiert“, sagte jüngst Yoshihito Maehara vom Dachverband der medizinische Gewerkschaften. „Schlagzeilen, die das Gesundheitssystem hier als am Rande des Zusammenbruchs beschreiben, sind falsch. Es ist bereits kollabiert.“
Das Virus war bislang eigentlich gut eingedämmt
Die Entwicklung ist erstaunlich, denn bislang galten alle genannten Länder als Vorbilder im konsequenten Bekämpfen des Virus. In Taiwan etwa hatte es zu einem früheren Zeitpunkt für 250 Tagen überhaupt keine Neuinfektionen gegeben. Der Inselstaat riegelte sich konsequent ab, es galt Quarantänepflicht. Lockdown gab es allerdings keinen.
Das könnte Sie auch interessieren: Corona-Drama: Indien zeigt, wie Fehlentscheidungen in der Katastrophe enden
In Thailand schon: Bereits im März machte die Regierung fast alles dicht, der Flugverkehr wurde nahezu eingestellt. Japan setzte vor allem auf konsequente, digitale Nachverfolgung.
Virus-Verbreitung über Nachtclubs und Bordelle
Warum also nun der krasse Anstieg? Dazu haben wohl unterschiedliche Gründe geführt. In Thailand etwa wurden rund 70 Prozent der jüngsten Infektionen in Gefängnissen registriert. Die meisten übrigen gab es in Bangkok, vor allem in Nachtclubs. Die „NZZ“ berichtet: „Im Viertel Thong Lor wurde Anfang April unter anderem der Transportminister in kompromittierender Pose abgelichtet. Zusammen mit anderen Beamten musste er später prompt bekanntgeben, sich mit Covid-19 angesteckt zu haben.“ Seitdem wurden zahlreiche weitere Fälle auf das entsprechende Lokal zurückgeführt. Ähnlich ist die Situation in Kambodscha, wo sich das Virus vor allem unter Prostituierten verbreitete.
Beide Länder sind stark vom Tourismus abhängig und hatten aufgrund der guten Entwicklung der vorangegangenen Monate zuletzt Öffnungsschritte unternommen – womöglich zu früh. Ähnlich äußerte sich eine Passantin in Taiwans Hauptstadt Taipeh zur ARD: „Im Vergleich zum Ausland war die Situation in Taiwan lange sehr stabil, deswegen wurden wir vielleicht ein bisschen nachlässig“.
Corona-Eskalation in Asien: Schuld sind auch Mutationen und verschleppte Impfungen
Hinzu kommt: Aus Indien verbreitet sich in vielen asiatischen Ländern gerade die gefährliche Mutation B1.617. Schon länger grassiert zudem die britische Variante B.1.1.7. Beide gelten als deutlich ansteckender und infizieren in kurzer Zeit viel mehr Menschen als das Ursprungsvirus.
Schuld am asiatischen Corona-Dilemma ist wohl auch die verschleppte Impf-Kampagne. Am besten steht derzeit noch Kambodscha da mit im Schnitt knapp 20 von 100 Einwohnern, die bereits mindestens eine Dosis bekommen haben. In Japan liegt die Quote bei knapp 5 von 100 Einwohnern, in Taiwan bei nicht mal 1 von 100. Zum Vergleich: In Deutschland haben bereits gut 47 von 100 Einwohnern eine erste Spritze bekommen.
Viele asiatische Länder konnten oder wollten sich die Impfstoffe von Moderna, Biontech und Co. nicht leisten. Sie hoffen nun, dass das chinesische Vakzin Sinovac bald großflächig zum Einsatz kommen kann. Die WHO hat es kürzlich zugelassen.