Hamburger Forscherin: Gegen Klimawandel ist Corona-Krise „pillepalle“
Die Politökonomin Maja Göpel plädiert für eine radikale Wende zu nachhaltigem Wirtschaften. In ihrem Bestseller beschreibt sie die Klimakrise und zeigt auf, was aus ihrer Sicht alles falsch läuft.
Maja Göpel tritt vielen auf die Füße. Kein Wunder, denn mit Abwrackprämien, immer größeren Autos und dem derzeitigen Bankensystem kann die Politökonomin nichts mehr anfangen. Die Mehrwertsteuerentlastung in der Corona-Pandemie nennt sie „Porsche-Prämie“.
Hamburger Forscherin: Gefragt in der Corona-Krise
Die 44 Jahre alte Wissenschaftlerin ist besonders in der Corona-Krise eine gefragte Interviewpartnerin, sie denkt in großen Dimensionen und bezieht klar Stellung. Hauptthema in ihrem Bestseller „Unsere Welt neu denken“ ist das aktuelle Wirtschaftssystem und wie es nachhaltige Entwicklung verhindert. Eine typisch-provozierende Frage lautet etwa, ob das soziale Engagement von Microsoft-Gründer Bill Gates „die exorbitante Summe seiner Flugmeilen“ pro Jahr aufwiege.
Corona im Vergleich zur Umweltzerstörung „pillepalle“
Gegen die Umweltzerstörung wie die Entwaldung, das Absinken der Grundwasserspiegel oder das rasante Artensterben sei die Corona-Pandemie „pillepalle“, sagt sie im Gespräch am New Institute in Hamburg. Die gebürtige Bielefelderin nimmt natürlich die Bahn, wenn sie an die Alster pendelt, wo sie als wissenschaftliche Direktorin ein Riesenprojekt voranbringen soll.
Die vom Hamburger Unternehmer Erck Rickmers finanzierte Denkfabrik ist im Aufbau – ab Herbst soll dort der Austausch zu Bereichen wie Ökologie und Ökonomie, Zukunft der Demokratien und der Wertesysteme vorangetrieben werden. Thema ist auch: Wie kann Hamburg zur Vorzeigestadt in puncto Digitalisierung werden? Für die Aufgabe gab Göpel ihre Arbeit für den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung zu Globalen Umweltveränderungen auf.
Maja Göpel aus Hamburg fährt 22 Jahre altes Auto
Sie selbst wohnt mit ihrer Familie in der Kleinstadt Werder bei Potsdam und fährt ein 22 Jahre altes Auto: „Es steht meist rum, ich brauche es nur für die Fahrt zum Reiterhof mit meinen Kindern und anschließendem Einkaufen.“ An der Leuphana Universität in Lüneburg hat sie einen Lehrauftrag – in diesem Jahr in einem viertägigen Sommer-Workshop. Zusammen mit dem Philosophen Richard David Precht lotet die Transformationsforscherin in einer Utopie-Konferenz die Post-Corona-Gesellschaft aus. Bereits 2020 fand das Forum Zuspruch auch außerhalb der Uni: 800 Interessierte meldeten sich an
Göpel wirft ein Licht auf Influencer, Facebook sowie Instagram und prangert ungebremsten Konsum an: Deutschlands Plastikmüll gehe zu einem großen Teil nach Asien, die TV-Geräte würden in Afrika verschrottet. „Viele spüren, es kann nicht so bleiben wie es früher war“, sagt sie und meint damit auch viele Bereiche in Deutschland: das Gesundheitswesen mit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, den Niedriglohnsektor und verkrustete Strukturen in der Landwirtschaft. Warum könnten sich viele Menschen trotz Arbeit neben der Miete kein vernünftiges Essen für ihre Familien leisten, fragt sie.
„Ich finde schon, dass Corona lehrt, das Leben zu schützen. Bisher haben wir an den großen Kreisläufen nichts getan“, meint die Wissenschaftlerin, die Scientists for Future mitgründete. So sei 2008 nach der Bankenkrise ein „verrottetes System“ wieder aufgebaut worden. Es bräuchte meist „Schocks von außen“, um Routinen zu unterbrechen.
Am Herzen liegt der Mutter zweier Grundschüler auch die Situation der Kinder und ihrer oft überlasteten Eltern im Homeschooling. „Wir sollten den Druck von der Schule nehmen, Bildung ist etwas anderes als Einbimsen und Ausspucken. Wir sollten loslassen vom Notendruck.“ Bildung sei mehr als das, nämlich die Fähigkeit des sozialen Miteinanders, Empathie und Kreativität. „Erste Studien zur den Tablet-Klassen sind negativ ausgefallen“, führt sie an.
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In der momentanen Lage befürchtet Göpel Schäden für Kinder, aber auch für maximal gestresste Eltern: „Was macht das Homeschooling mit einer Familie in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Stadt? Wir können doch nicht so tun, als wäre das gut fürs Familienklima.“ Heranwachsende sollten sich nicht als Störfaktor oder Ballast fühlen.
„Das ist vollkommen richtig“, sagt der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski. „Das wichtigste in der Erziehung ist die Entwicklung der Persönlichkeit und des Selbstbewusstseins, derzeit wird alles auf technische Fragen reduziert, als würde man mit Tablets die Probleme lösen“, betont der 80-Jährige. Das soziale Miteinander fehle: „Ich würde es soziale Unterernährung nennen“. Das werde Auswirkungen auf die Bindungsfähigkeit bis hin zur Verlässlichkeit der jungen Generation haben, befürchtet Opaschowski.
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Gleichzeitig stelle er in seinen Studien fest, dass die Sehnsucht nach Sozialem größer ist als der Wunsch nach Materiellem. „Weniger ist mehr – jetzt wird es Realität, weil die Menschen neu nachdenken. Die Mehrheit sagt, ich will bescheidener sein.“ Darauf setzt auch Maja Göpel. Ihr Glanzlicht in den nächsten Monaten sei ein geplanter Reiturlaub mit den Kindern auf einem Hof bei Berlin.