• Feministin Stevie Schmiedel, Genderforscherin und Gründerin der Bildungsorganisation „Pinkstinks“
  • Foto: Yvonne Schmedemann hfr

Weltfrauentag: Kann man Femininistin sein und gendern blöd finden?

Sie kämpft gegen Sexismus in der Werbung und in Kinderzimmern: Genderforscherin Stevie Schmiedel. Die MOPO sprach mit der Pinkstinks-Gründerin über Make-up in Videokonferenzen, Muskeln bei Männern, das Frauenbild auf Instagram und warum sie am Frauentag keine roten Rosen bekommen will.

MOPO: Frau Schmiedel, bei welcher Gelegenheit haben Sie zuletzt die Augen verdreht, weil etwas total sexistisch war?

Stevie Schmiedel: Das ist noch nicht lange her: Als vergangene Woche über die neuen Coronaregeln berichtet wurde und es um Flugschulen und Blumenläden ging, aber nicht um die Öffnung von Schulen. Diese Selbstverständlichkeit, mit der besonders Mütter derzeit keine Lobby haben, das finde ich schon sehr dramatisch.

Bringt Corona für Frauen mehr Nachteile als für Männer?

Es ist ein Wahnsinnsrückschritt. Die Care-Arbeit und der Mental Load (die Aufgabe, an alles zu denken, die Red.) liegt immer noch hauptsächlich bei Frauen. Und auch wenn jetzt viele Männer zuhause arbeiten und vielleicht auch einiges übernehmen, können sie diese zusätzliche Last nicht auffangen. Diese unglaubliche Sorge um die Kinder, die seit einem Jahr im Lockdown sind und nicht mehr können, das wird gar nicht thematisiert.

„Germany’s Next Topmodel“: Nichts für Feminist*innen

Junge Mädchen gucken mit Begeisterung „Germany’s Next Topmodel“ und Schminktutorials und posten Fotos, auf denen sie dank Filter besonders großäugig und niedlich aussehen ­– ist die Generation für den Feminismus verloren?

Wie die ganze Gesellschaft ist auch diese Generation sehr geteilt. Wir haben in ganz Deutschland einen Rechtsruck erlebt, bei dem in bestimmten Regionen ganz archaische Geschlechterrollen Einzug halten, während es in urbanen Kreisen wie bei uns etwa in Eimsbüttel ganz normal ist, dass die Väter zuhause mit anpacken und die Frauen arbeiten gehen. Auch bei den Jugendlichen haben wir einerseits diejenigen, die besonders in ländlichen Gegenden leben und richtig alte Traditionen feiern, und andererseits haben wir die Jugendlichen von „Fridays for Future“, die auf die Straße gehen und die durchgehend feministisch sind. Da wird gegendert und auch die Jungs nennen sich Feministen. Das sind die, die „GNTM“ abschalten.

Wenn Sie an sich als Teenager denken, haben die jungen Frauen von heute es leichter oder schwerer?

Es hat sich verlagert. Es gibt in manchen Firmen Förderprogrammen für Frauen, es ist mehr Bewusstsein dafür da, dass es Frauen schwerer haben auf der Karriereleiter, und es wird auch mehr thematisiert, dass der Mental Load und die Care-Arbeit in den Familien gerechter verteilt werden muss. Auf der anderen Seite wissen wir, dass das Frauenbild auf Instagram und anderen sozialen Netzwerken in den 50er Jahren stecken geblieben ist, dass es vor allem darum geht, dass eine Frau schön sein soll. Ich persönlich merke das ganz stark im Lockdown, wenn ich Konferenzen per Video führe. Da sitzen Männer unrasiert und im Hoodie, man ist ja zuhause, man darf so aussehen, während die Frauen sich trotzdem noch bemühen, adrett auszusehen. Die Frage „Sehe ich gut aus?“ ist in den Zeiten der Selbstvermarktung viel wichtiger geworden.

Pinkstinks: Werbung setzt noch immer auf „Sex sells“ 

Schminken Sie sich für eine Videokonferenz?
Inzwischen sitze ich da ungeschminkt, aber das habe ich mir erkämpft über die Jahre. Früher dachte ich, als Feministin musst du wenigstens gut aussehen. Aber Sie glauben gar nicht, wie viele Kamerateams zu mir kommen und selbstverständlich fragen, wo mein Puder ist und ob ich da und dort mal eine glänzende Stelle abpudern könne. Ich frage mich, ob die auch männliche Interviewpartner fragen, ob die ihr Puder dabeihaben. Aber von mir als Frau erwarten sie, dass ich ein Schminktäschchen dabeihabe.

Sexistische Werbung war ja eines der Ursprungsthemen für Pinkstinks. Heute sieht man in den Spots Männer staubsaugen, waschen, kochen. Hat sich da genug getan?

In der Außen- und Mainstreamwerbung sieht man auch mal einen Mann einen Pod in die Waschmaschine werfen, aber wir haben noch sehr viel Sexismus bei Werbung im Internet und auf Autos. Wir haben ja die Werbemelder.in, bei der solche Sachen online gemeldet werden können. Da kriegen wir etwa fünf Mal so viele Einsendungen wie der Deutsche Werberat. Das sind keine hochkarätigen Kampagnen von großen Agenturen, eher so der kleinere Handwerksbetrieb, der seine Werbung selbst macht und auf „Sex sells“ setzt.

Gibt’s Branchen, die besonders anfällig sind?

Der Rohrerreiniger ist ein Klassiker, oder das „Frischfleisch“ in der Fleischbranche, oder der lokale Fliesenleger, der meint, Susi von nebenan nackt auf den Fliesen, das spricht bestimmt viele Kunden an. Sowas wird fotografiert und landet bei uns. Wir stellen das Foto dann online und erklären, warum das sexistisch ist. Mehr können wir nicht tun. Aber wir haben inzwischen einen Bilderteppich auf einer Deutschlandkarte, da sieht man, wie viel sexistische Werbung es noch gibt.

Body Positivity, also die Vielfalt von Körperformen, ist einRiesenthema, sogar bei „GNTM“ und der Wahl zur Miss Germany soll es nicht mehr nur um Schönheit gehen. Ist das ein Fortschritt oder Schaumschlägerei? 

Das ist Schaumschlägerei. Die Frauen dürfen mitmachen, als eine Art social washing, aber am Ende gewinnt doch die Schlanke. Und was bleibt, ist die Konkurrenz, in die junge Frauen gestellt werden. Man würde keine jungen Männer finden, die darum konkurrieren, der Schönste zu sein, da würden die sich kaputtlachen. Aber jungen Mädchen wird suggeriert, wenn ich nicht schön bin und toll performe, dann habe ich nicht mitzureden. Das ist nicht Schuld der Frauen, das ist eine Gesamtsituation in der Erziehung, die mit Prinzessin Lillifee im Kindergarten beginnt.

Radio im Norden: Auch der NDR gendert inzwischen 

Die Zeiten gendern sich, ist der Slogan von Pinkstinks, jetzt gendert sogar der ehrwürdige NDR in seinen Radioprogrammen ­ – Ziel erreicht?

Das ist ein Etappensieg. Immer mehr Menschen gendern, besonders die Jungen, und gleichzeitig wird darüber gehetzt, dass die deutsche Sprache verhunzt wird und den Menschen die Freiheit genommen werden soll. Eine ganze Generation merkt, dass sie in der Sprache nicht sichtbar ist und dass sie das verändern möchte. Und dann ist gleich von Zensur und Freiheitsberaubung die Rede.

Es gibt ja auch Frauen, die finden das generische Maskulinum okay, die fühlen sich davon tatsächlich angesprochen. Kann ich Feministin sein und gendern blöd finden?

Hmm. Nein. Leider nicht. Ich habe auch so gedacht früher, gerade weil ich Britin bin. Ich dachte, das brauchen wir nicht. Wir definieren das generische Maskulinum einfach um, erklären es als neutral und dann sind wir alle damit gemeint. Und dann bekam ich Kinder und meine Töchter sagten im Kindergarten: „Warum sprichst du immer von den Erziehern? Da ist doch nur ein Mann dabei“. Wenn Kinder Sprache erlernen, dann spüren die sehr wohl einen Unterschied zwischen Maskulinum und Femininum. Seitdem gendere ich auch.

Der sehr gendersensible FC St. Pauli hat kürzlich Riesenärger bekommen, weil in einem Comic ein Pauli-Fan als blonder Mann dargestellt wurde. Sie haben ja auch Anfeindungen aus den „eigenen Reihen“ bekommen, weil People of Colour und Transpersonen Ihnen Ausgrenzung vorwarfen. Nervt das?

Das kommt immer auf den Ton an. Es ist berechtigt, dass man freundlich daraufhin gewiesen wird, was man besser machen könnte. Aber manchmal ist das so realitätsfern, dass man diese Kritik nicht annehmen kann. Ich spreche vom „Feminismus mit Liebe“. Wir wollen ja etwas verkaufen, wir wollen ja diejenigen sichtbar machen, die in der Gesellschaft diskriminiert werden und das mit guten Argumenten. Damit erreicht man mehr als mit Aggression.

Pinkstinks: Auf Diskriminierung aufmerksam machen 

Sie werden in diesem Jahr 50, ist es für Feministinnen leichter, zu altern?

Es ist bestimmt einfacher, zu altern, wenn einem die Strukturen in der Gesellschaft bewusst sind, die Frauen klein, jung und zart halten wollen. Gleichzeitig haben es Feministinnen schwer, weil immer noch gilt: Wer laut ist und was fordert, soll wenigstens hübsch dabei sein. Mir hat es als jüngerer Feministin oft geholfen, dass vor mir Journalisten saßen und sagten: „Sie sehen gar nicht aus wie eine Feministin.“

Gibt es etwas, das Männer besser können? Außer im Stehen pinkeln?

Werfen. Das ist anatomisch bedingt. Und sie haben mehr Muskelmasse. Ich finde es toll, dass gerade jetzt, wo ich in den Wechseljahren diese Schwächemomente habe, mein Mann immer Muskelkraft hat, obwohl er zehn Jahre älter ist.

Sie sind mit Atze Schröder befreundet, wie kam das denn? Der wirkt ja von außen wie der Gegenentwurf zum Feminismus.

Wir mögen uns. Ich habe Atze mal angesprochen in einem Hotel, weil er immer mal wieder sexistischen Mist baut – und er war total offen, das hat mich überrascht. Es ging um einen Werbespot und er sagte, der ist ihm inzwischen total peinlich. Ich finde das toll, wenn jemand einsichtig ist. Ich habe neulich mit dem Geschäftsführer eines großen deutschen Unternehmens gesprochen und habe ihm erklärt, wie sexistisch er denkt, obwohl er sich für total aufgeklärt hielt. Es war okay, wir haben zusammen darüber gelacht. Wenn Menschen sich öffnen und das zulassen, das ist toll. Dass Menschen sich hinterfragen, das erreicht man mit Freundlichkeit und Charme und nicht, wenn man sie brutal angeht.

Schmiedel: Atze Schröder hat sexistischen Mist gebaut

Letzte Frage: Heute ist Frauentag und Sie dürfen sich alles wünschen. Was wäre Ihr größter Wunsch?

Dass Frauen keine Rosen geschenkt bekommen, oder Prozente auf pinke Produkte im Drogeriemarkt, sondern dass die Sichtbarkeit und Teilhabe von Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wirklich ernst genommen wird.

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