• MOPO-Redakteurin Nina Gessner arbeitet derzeit mit Mann und Kindern in der Wohnung zu Hause. Das ist nicht immer einfach.
  • Foto: Nina Gessner

Mütter in der Corona-Krise : Wenn die Wohnung zum Gefängnis wird

Eine Woche häusliche Isolation liegen hinter uns. Meine Kinder sprechen noch von „Corona-Ferien“. Noch. Denn auch ihre Nerven sind langsam am Ende. Meine und die meines Mannes sind es längst. Für uns, die beide jeden Tag acht Stunden lang im „Homeoffice“ am Wohnzimmertisch sitzen, ist unsere Vier-Zimmer-Wohnung im Grindelviertel nicht nur zur Gefängniszelle geworden. Sie wird zwischenzeitlich zur Folterkammer.

Kinder brauchen Bewegung. Kinder brauchen frische Luft. Kinder brauchen Abwechslung. Kinder brauchen Freunde. Kinder brauchen Aufmerksamkeit. Kinder brauchen Liebe. 

Es sind Grundbedürfnisse, die universell gelten. Und die tausende Kinder in Hamburg derzeit aufgrund der Corona-Krise derzeit nicht erfüllt bekommen. Jedenfalls nicht, wenn sie, wie meine, in einer Etagenwohnung ohne Garten aufwachsen.

Coronavirus in Hamburg: Mütter in der Krise

Was die Situation so verschärft, sind die Bedürfnisse der Homeoffice-Eltern, die denen ihrer Kinder diametral entgegenstehen. Sie brauchen Ruhe, um arbeiten zu können. Sie hoffen, dass die Kinder sich selbst beschäftigen. Doch das funktioniert nicht. Oder nur mal kurz zwischendurch.

Das, was Eltern sonst anderen Berufsgruppen übergeben – die Kinderbetreuung, die Kinderbeschulung, die Kinderbespaßung, die Kinderernährung, die Reinigung der Wohnung – all das müssen sie jetzt parallel zu ihren gleich gebliebenen Arbeitsanforderungen auch noch übernehmen.

Vollzeit berufstätig, Lehrerin, Erzieherin, Köchin und Putzfrau zugleich – das geht nicht

Ich bin Vollzeit-Redakteurin. Gleichzeitig muss ich Lehrerin sein, wozu ich nicht ausgebildet bin, ebensowenig wie zur Erzieherin. Ich muss Köchin sein, weil das Schulcatering ausfällt. Das kostet viel Zeit. Länger als meine vorgesehene Mittagspause. Zwischendurch muss geputzt werden, weil die Wohnung viel stärker genutzt wird als normal. Ich muss die Freunde meiner Kinder ersetzen, Streits schlichten, Prügeleien unterbinden, Tränen trocknen. Und das alles parallel während meines Acht-Stunden-Arbeitstages, der Ruhe und Konzentration erfordert. Manchmal könnte ich nur noch schreien. Ich tue es auch.

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Deutschlands Chef-Virologe Christian Drosten hat im Interview mit der „Zeit“ gesagt, „So langsam sind bestimmte Dinge eingeschliffen, haben Menschen eine Betreuung für ihre Kinder organisiert.“ Als ich das gelesen habe, hatte ich zum Beispiel einen Wutausbruch. Betreuung für ihre Kinder organisiert? Hallo????? Wir sitzen alle zu Hause! Wo sollen wir denn Betreuung organisieren? Die Schulen und Kitas sind geschlossen. Für Oma und Opa gilt Besuchsverbot. Wir sind eingesperrt in unsere Wohnungen und erleben Konflikte, die wir nie miteinander hatten. Mit den Kindern. Mit dem Partner.

Corona-Maßnahmen sind richtig. Es braucht nur neue Lösungen

Es ist nicht mein Anliegen, mich über die Maßnahmen zu beschweren. Sie sind richtig. Und sie sind zwingend notwendig. Die Pandemie hat uns überrollt. Es ist eine Ausnahmesituation, mit der niemand Erfahrung hat. Wir MÜSSEN zu Hause bleiben, um die Ausbreitung zu verhindern. Meine Familie und ich (bisher symptomfrei) halten uns penibel an die Empfehlungen, auch weil wir in den Skiferien im später zum Risikogebiet erklärten Tirol waren. Ist das wirklich erst eine Woche her?

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Wo der Lehrer fehlt: Gedicht meiner Tochter. Die Aufgabe war eigentlich eine andere.

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Nina Gessner

Aber ich hoffe darauf, dass für uns Eltern professionelle Lösungen gefunden werden. Teleschooling, Skype-Unterricht. Oder sogar eine Rückkehr in die Schulräume bei kleineren Klassen und größeren Tischabständen. Ich weiß es doch auch nicht. Ich weiß nur, dass es so nicht geht.

Kein Bock auf Hausaufgaben. Und nun?

Als nach zwei Tagen zu Hause von der Schule endlich das Unterrichtsmaterial geliefert wurde, war ich dankbar. Ich dachte, jetzt sind die Kinder beschäftigt. Jetzt machen sie wenigstens zwei Stunden pro Tag ihre Aufgaben. Falsch gedacht. Der Kleine hat keine Lust. Man muss ihn permanent dazu überreden. Aber ich muss doch arbeiten!

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Die Große ist pflichtbewusst. Aber wenn Mama bei dem Kleinen (er ist erst 1. Klasse) ein Auge zudrückt, dann ist das „totaaal ungerecht“. Dann fängt sie an zu weinen, zu brüllen, zu wüten! Dann muss ich trösten. Aber ich muss doch arbeiten!!

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Wie eine Neunjährige die Corona-Krise bildlich verarbeitete.

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Nina Gessner

Ich war froh, dass wenigstens ein Kind „funktioniert“ (Dass ausgerechnet ich das mal so formulieren würde!). Doch nach drei Tagen, in denen meine Tochter sich unter großer Mühe Gedichte ausgedacht hat („Die Wurst“, „Das Kind mit seinem Tagesablauf“, „Die Federtasche“), hab ich einen Blick auf den Begleitbrief des Lehrers geworfen. Die Aufgabe war, mitgelieferte Gedichte abzuschreiben und auswendig zu lernen. Nicht selber dichten. Herrjeh! Da hab ich begriffen, dass auch die Drittklässlerin unsere Begleitung braucht bei der Erledigung der Aufgaben. Aber ich muss doch arbeiten!!!

Das Wochendhaus ist keine Lösung. Grenzen sind dicht

Irgendwann haben mein Mann und ich beschlossen, dass es so nicht geht. Wir denken auch an unsere Nachbarn, die ebenfalls im Homeoffice sind und keine Kinder haben. Sie müssen den ganzen Tag das Geschrei und Getrampel ertragen. Ach ich vergaß – so viel zerbrochenes Geschirr wie in der vergangenen Woche hatten wir seit Jahren nicht mehr. Und die „Experimente“ (so nennen es meine Kinder) bzw. der „Bockmist“ (so nenne ich es)? Wenn einem NOCH mehr Arbeit entsteht, weil im Badezimmer aus Shampoo und Zahnpasta ein „Anti-Corona-Medikament“ gebraut wurde und die Hälfte davon auf dem Teppich gelandet ist.

Zunächst dachte man: Es sind ja nur zwei Wochen. Doch dann kam die Verlängerung. Um weitere drei Wochen! Ob es dabei bleibt, steht in den Sternen.

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Wir beschlossen, in unser Wochenendhaus umzuziehen. Dann könnten die Kinder wenigstens im Garten und im Wald spielen. Bald kommt ja der Frühling. Weil es dort bisher kein WLAN gibt, was wir fürs Homeoffice brauchten, fingen wir an, zu recherchieren. Als wir endlich eine Lösung gefunden hatten, machte Mecklenburg-Vorpommern die Grenzen dicht. Auch für Wochenendhäusler.

Wegen Corona: Die Schwester hängt in Thailand fest

Ich fing an, meine Schwester zu beneiden, die mit Mann und Kindern in Thailand festhing. Der Rückflug gecancelt. Jeden Tag schrieb sie mir von den neuen Irrungen und Wirrungen der Rückkehrplanung. Und ich antwortete nur: Bleibt da. Bleibt auf eurer Insel. Genießt die Sonne, das Meer, die frische Luft. Doch sie wollte nicht hören. Strandete dann zunächst in Singapur. Jetzt in London. 

Irgendwann wird sie hier ankommen. Und noch eine eingesperrte Hamburger Familie in einer Etagen-Wohnung sein. Willkommen im Club. Welcome to hell.

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