Erste Tour ab Hamburg: So trostlos ist die neue Kreuzfahrt-Realität
Keine Landgänge, keine üppigen Buffets, keine spektakulären Shows mit Gesang, „Kreisfahrten“ auf Nord- und Ostsee statt City-Hopping im Mittelmeer – dafür jede Menge Platz, Ruhe und Corona-Schnelltests auf den Schiffen: Die vor Corona boomende deutsche Kreuzfahrtbranche erwacht vorsichtig wieder zum Leben und startet in dieser Woche in eine Saison, wie es sie noch nie gegeben hat. Viele Kunden reagieren skeptisch.
Die Bilder vom Einlauf der beiden schmollmündigen Riesenpötte Aidamar und Aidablu in Warnemünde am 18. Juli sind beeindruckend: Tausende staunende Badegäste am Strand, aber keine winkenden Passagiere an Deck.
Die Kreuzfahrt-Saison startet wieder – aber nichts ist wie früher
Wochenlang lagen die Luxusschiff auf Reede vor Skagen, jetzt sollen sie wieder fit gemacht werden für die ersten Gäste: Am 5. August startet die Aidaperla in Hamburg, wie alle Kreuzfahrtschiffe mit maximal 60 Prozent Auslastung: Drei Tage raus auf die Nordsee, einmal im Kreis fahren und wieder zurück. Kosten: ab 399 Euro.
Tui Cruises macht den Anfang und lässt bereits am 24. Juli die „Mein Schiff 2″ von Hamburg aus in See stechen: Einmal die Nordsee hoch bis Kristiansand in Norwegen, wo das Schiff spätabends eine Stunde zum Tanken fest macht – dann geht’s zurück nach Hamburg. Die Passagiere dürfen nicht von Bord und zahlen für den dreitägigen Mini-Trip 629 Euro pro Person in einer Balkonkabine.
Und: Weil die Maschinen wegen der fehlenden Landgänge ununterbrochen laufen, ist der Treibstoffverbrauch auch noch höher als normal.
Corona stoppte den Kreuzfahrt-Boom
Es ist ein zaghafter Anfang nach den teilweise traumatischen Erfahrungen der Branche im Frühjahr mit Corona-Ausbrüchen auf Schiffen und Kreuzfahrtriesen, die über die Meere irrten auf der Suche nach einem Hafen, der sie nicht abweist.
Das Schiff als Luxushotel, das jeden Tag an einer tollen neuen Destination anlegt und den Passagieren zwischendrin jede Menge Wellness und Entertainment bietet – dieses Konzept hat den Kohlendioxid- und Feinstaubschleudern trotz aller Kritik von Umweltschützern jedes Jahr gigantische Zuwachsraten beschert.
Kreuzfahrten: Keiner liebt sie so wie die Deutschen
Auf die schicken Erlebnisdampfer der Branchenriesen Tui Cruises (7 Schiffe) und Aida (14 Schiffe) fahren besonders die Deutschen ab: 2,2 Millionen Hobby-Seefahrer machten im Jahr 2019 Urlaub an Bord. Deutschland ist damit Europameister unter den Kreuzfahrern, so der Kreuzfahrtverband CLIA.
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Und jetzt? Jetzt fallen nicht nur die Ausflüge weg, auch das Leben an Bord ist nicht mehr das selbe: In Restaurants wird am Tisch serviert zu vorgebuchten Zeiten, auch Besuche im Fitnessstudio müssen angemeldet werden. Saunen und Disco sind geschlossen.
Kreuzfahrten nach Corona: Keine Gesangsshows
Und da Sänger als potentielle „Superspreader“ gelten, sind die pompösen Musikshows in den Bord-Theatern abgesagt. Stattdessen laufen etwa Videos früherer Shows („fantastische AIDA Shows in erstklassiger Qualität auf der LED-Wand im Theatrium“), oder es treten Tänzer und Akrobaten auf, die unterhalten ihr Publikum, ohne Viren zu schleudern.
Kreuzfahrten mit Corona-Schnelltests an Bord
Tui Cruises wirbt um Vertrauen durch Corona-Schnelltests und einen zusätzlichen Offizier an Bord, den „Infection Control Officer“. Außerdem gibt es ein Covid-19-Frühwarnsystem auf den Schiffen, basierend auf täglicher Temperaturmessung von Gästen und Crew.
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Unter den Abonnenten des höchst erfolgreichen Youtube-Kanals des Schiffstesters Matthias Morr hält sich die Begeisterung für das „im Kreis fahren“ in Grenzen. „Unter diesen Umständen, nein Danke. Keinen Cent gebe ich für eine solche Reise aus“, schreibt ein Kommentator. „Nur Schifffahrt ohne Landgang ist so als würde ich mit dem Zug nach Hamburg und ohne aussteigen wieder zurück“, findet ein anderer. „Sorry, für mich wäre so eine Kreuzfahrt ein Alptraum. Ich würde da vor lauter Langeweile eingehen“, ein weiterer.
Die positiven Seiten der neuen Kreuzfahrten
Schiffstester Morr kann den ersten Kurztrips jedoch durchaus auch positive Seiten abgewinnen, lobt die Ruhe und den Platz auf den nur gut zur Hälfte ausgebuchten Schiffen. Außerdem, so der Profi nach zahllosen Ausflügen, sei es doch auch einmal schön, ganz ohne stressige Landgänge einfach nur an Bord sein zu können.
Den deutschen Kreuzfahrt-Fans geht es tatsächlich verhältnismäßig gut: Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC hat das Kreuzfahrtverbot gerade bis 30. September 2020 verlängert.