Ex-Chefredakteur Clement wird 80: Wie Johannes Rau einst die MOPO auf die Schippe nahm
Wenn einer wie Wolfgang Clement 80 wird, kann er was erzählen. Zum Beispiel über drei Polit-Koryphäen namens Brandt, Schmidt und Wehner, deren Absichten er aus ihrer Körpersprache ablesen musste.
Wolfgang Clement hat immer viel Glück gehabt im Leben. Das sagt er selbst, und man glaubt ihm das gern. Denn während er es ausspricht, sitzt er im Wohnzimmer seines Bonner Bungalows in der Nähe des Rheins, seine Frau Karin hat ein reichhaltiges Frühstück auf den Tisch gezaubert, und die Sonne scheint durch die Terrassenfenster. An der Wand hängt ein Foto, das Wolfgang und Karin Clement inmitten ihrer Familie zeigt. Sie haben fünf Töchter und 13 Enkel: „Acht Jungen, fünf Mädchen“, listet Karin Clement strahlend auf. „Der jüngste ist eineinhalb, die älteste 22.“ Wolfgang Clement wiederum feiert am Dienstag (7. Juli) seinen 80. Geburtstag.
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„Ich hab auch beruflich viel Glück gehabt im Leben“, sagt er. 1960 zum Beispiel, da wollte er Journalist werden, obwohl sein Vater gar nicht damit einverstanden war. Er schrieb alle Zeitungen in seiner Heimatstadt Bochum und Umgegend an, doch nur der Lokalchef der „Westfälischen Rundschau“ antwortete. Dort fing er an – Zeilenhonorar neun Pfennig –, und etliche Jahre später wurde dieser Lokalchef Günter Hammer Chefredakteur des Blattes und machte Clement zu seinem Vertreter. „Dieser Mann war der erste große Glücksfall meines beruflichen Lebens.“
Wolfgang Clement blickte als SPD-Sprecher hinter die Kulissen
Der nächste hieß Hans-Jürgen Wischnewski, ein SPD-Urgestein. „Er hat mich auch im Namen Willy Brandts gefragt, ob ich Sprecher der SPD werden wollte.“ Das war 1981. Clement rief daraufhin den SPD-Landesvorsitzenden und NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau an und fragte, ob er mal zu ihm kommen dürfe, um die Sache mit ihm zu besprechen. „Kommen Sie“, sagte der. „Und so habe ich Johannes Rau kennengelernt. Er hat mir dann geschildert, wie das ist, wenn man im Präsidium zusammensitzt mit Brandt, Schmidt und Wehner.“
Das Verhältnis zwischen den „großen Drei“ der Nachkriegs-SPD – der eine Parteivorsitzender und Ex-Kanzler, der andere amtierender Kanzler, der dritte Fraktionschef – war 1981 äußerst angespannt, namentlich zwischen Brandt und Wehner. Beide besprachen in dieser Zeit – in der die sozialliberale Koalition erkennbar auf ihr Ende zuging – nur noch das Notwendigste miteinander.
Politik-Insider: Clement musste aus der Körpersprache lernen
In dem Gespräch mit Clement karikierte Johannes Rau die Sitzungen im fensterlosen Sitzungsraum des SPD-Präsidiums im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus „auf seine unnachahmliche Weise“, wie Clement sich erinnert. Er sagte: „Sie müssen sich vorstellen, die beiden reden kaum miteinander, und Sie müssen aus ihren kürzesten Sätzen, Randbemerkungen, geradezu aus ihrer Körpersprache verstehen lernen, worum es jeweils geht.“
Clement machte den Job des SPD-Vorstandssprechers bis fast zum Ende des Bundestagswahlkampfes 1986/87, als er in jenem schrecklichen Sitzungsraum Parteichef Brandt und dem SPD-Kanzlerkandidaten Rau ins Gesicht sagte, dass einer von ihnen zurücktreten müsse, da sie im Wahlkampf einen geradezu gegensätzlichen Kurs verfolgten – konfliktträchtig versus „Versöhnen statt spalten“.
Als sie das prompt ablehnten, warf er selbst hin, kehrte zurück in den Journalismus und zog mit der kompletten Familie nach Hamburg, um dort Chefredakteur der „Hamburger Morgenpost“ zu werden. Rau machte sich alsbald einen Spaß daraus, ihm die Zeitung allmorgendlich mit eigenhändig geröteten Rechtschreibfehlern zurückzuschicken. „Das war gelegentlich eine regelrechte rote Wüste.“
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1989 holte ihn Rau als Chef der Staatskanzlei nach Düsseldorf. Im Laufe der Jahre wurde er öffentlich zunehmend als Kronprinz des NRW-Landesvaters charakterisiert, wobei er selbst betont, dass er ursprünglich gar nicht Ministerpräsident habe werden wollen. Das Verhältnis zu Rau war zeitweise so eng, dass die beiden Familien gemeinsam Urlaub machten.
Doch der gegen Ende der 90er Jahre aufziehende Wechsel des fast zwei Jahrzehnte lang amtierenden Ministerpräsidenten ins Bundespräsidialamt in Berlin schlug sich in mehr und mehr wuchernden Spekulationen über einen tatsächlich oder vermeintlich drängelnden Nachfolger nieder.
Clement als Ministerpräsident in NRW
„Das war schrecklich und spitzte sich so zu, dass unser Verhältnis darunter am Ende sehr gelitten hat“, sagt Clement. „Ich habe später wieder den Kontakt zu ihm gesucht und auch gefunden, aber es wird dann leider nichts wieder so, wie es war. Natürlich war er der bedeutendste Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Da kann kein Zweifel sein.“ 1998 wurde Clement schließlich selbst Ministerpräsident.
Vier Jahre später kam der Ruf aus Berlin: Bundeskanzler Gerhard Schröder bekniete ihn, als kombinierter „Superminister“ für Wirtschaft und Arbeit in das rot-grüne Kabinett einzutreten. Clement gab nach – was nicht überall auf Verständnis stieß: „Edmund Stoiber hat einmal zu mir gesagt: „Wie konnten Sie nur aus dem Amt des Ministerpräsidenten des größten der deutschen Länder in die zweite Reihe der Berliner politischen Szene wechseln?“
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Clement sah es anders. In Anbetracht der damals sehr schwierigen Industrie- und Arbeitsmarktlage in NRW sei es ihm um eine grundlegende Veränderung der politischen Rahmenbedingungen gegangen. Als Ministerpräsident wäre ihm das nicht möglich gewesen, sagt er im Rückblick. Die Reformagenda 2010, die er wesentlich mit umsetzte, gilt heute als seine herausragende politische Leistung. Allerdings begann damit auch seine Entfremdung von der SPD, die 2008 mit seinem Parteiaustritt endete.
80. Geburtstag während Corona: Party in der Toskana fällt aus
Seinen 80. Geburtstag feiert Clement daheim in Bonn im Kreis der Familie. Das traditionelle Großfamilientreffen in der Toskana ist Corona-bedingt aufgeschoben. „80 Jahre“, sagt er zum Abschied vor der Tür seines Hauses. „Hätt‘ ich mir früher auch nicht träumen lassen. Aber es waren tolle Zeiten dabei.“