Corona-Ausbruch: Göttingen droht neuer Lockdown – weil einzelne die Regeln brechen
Es ist der wohl größte regionale Corona-Ausbruch nach Inkrafttreten der Lockerungen: In Göttingen haben sich mehr als 100 Menschen bei illegalen, privaten Familienfeiern mit dem Virus angesteckt. Sie hatten mit mindestens 200 weiteren Menschen Kontakt. Das Resultat: ein neuer Hotspot – und jede Menge Ärger.
Die Wohntürme im Göttinger Iduna-Zentrum sind nicht besonders ansehnlich. Im Gegenteil: Sie wirken eher etwas heruntergekommen. Ein sozialer Brennpunkt soll hier sein, schreiben lokale Medien. Dass die Türme seit Tagen für Schlagzeilen sorgen, liegt vor allem an ihren Bewohnern – oder präziser ausgedrückt: An einem Teil der Bewohner.
Weil sich zahlreiche Mitglieder dort lebender Großfamilien bei privaten Feiern aus Anlass des muslimischen Zuckerfestes am 23. Mai nicht an die Hygiene- und Abstandsregeln gehalten haben sollen, gab es bis zum Mittwochabend mindestens 105 neue Corona-Infektionen. Hunderte Menschen kamen in Göttingen sowie anderen Kommunen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen als Kontaktpersonen in Quarantäne.
Wie es zu der Infektionswelle kommen konnte, verriet ein Schüler seiner Schulleitung: In seiner Familie hätten sich alle die Hand gegeben und sich umarmt. Zum Unterricht kann er ebenso wie alle anderen Schüler in Göttingen vorerst nicht mehr: Weil auch zwei Dutzend anderer Kinder infiziert sind, hat die Stadt die gerade erst wieder geöffneten Schulen allesamt erneut geschlossen. Auch im Landkreis Göttingen sind viele Schulen dicht.
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Am Mittwochabend verfügte die Stadt zudem, dass die Göttinger Vereine für vorerst zwei Wochen keinen Team- und Kontaktsport mehr anbieten dürfen: Viele der Infizierten sind Mannschaftssportler. Außerdem wird ein Schwimmbad geschlossen.
Es droht ein neuerlicher Lockdown in Göttingen
Ob es für Göttingen noch schlimmer kommt und ob die Rücknahme weiterer Lockerungen angeordnet werden müsse, sei nicht auszuschließen, sagte Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD). Bis Sonntag sollten die bisher nicht untersuchten Menschen der insgesamt rund 700 Bewohner des Iduna-Zentrums auf das Coronavirus getestet werden. Wann damit begonnen wird, war noch unklar. Die Zahl der in den vergangenen sieben Tagen neu erkrankten Menschen pro 100.000 Einwohner lag am Mittwoch im Kreis Göttingen bei 21,6 – in ganz Niedersachsen bei 5,4.
Das damit einhergehende Interesse der Medien scheint nicht allen Bewohnern des vernachlässigt wirkenden Wohnkomplexes zu gefallen. Am Mittwoch wurde das Team eines privaten Fernsehsenders nach eigener Aussage attackiert. „Die Leute haben gedroht, unsere Ausrüstung zu demolieren“, berichtete Kameramann Festim Beqiri. „Außerdem wurden wir von Balkonen herab mit rohen Kartoffeln beworfen.“ Auch Tomaten seien geflogen, berichtete sein Kollege Daniel Koop.
„Es ist erschreckend, dass es Menschen gibt, die meinen, für sie gelten die Regeln nicht“
Das Iduna-Zentrum sei schon seit Jahren ein Schwerpunkt in der Arbeit der örtlichen Strafverfolgungsbehörden, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Göttingen, Andreas Buick. Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) ergänzte, dort in den Hochhäusern – nicht in den Moscheen – sei beim Zuckerfest im Beisein auswärtiger Gäste gegen die Corona-Regeln verstoßen worden.
„Es ist erschreckend, dass es Menschen gibt, die meinen, für sie gelten die Regeln nicht oder für sie wären die Regeln unter bestimmten Umständen außer Kraft gesetzt“, sagt dazu der Leiter der Neuen IGS Göttingen, Lars Humrich. „Gerade als Religionslehrer stelle ich fest, dass wir vor allem im religiösen Bereich solche Verstöße beobachten, ob in einer Baptistengemeinde, in einer Pfingstgemeinde oder jetzt beim muslimischen Zuckerfest.“
Nach Angaben der Stadt stammt die Mehrzahl der Beteiligten aus dem früheren Jugoslawien – zu den genauen Nationalitäten gab es zunächst keine Angaben. Die Polizei wollte sich zu den Familien nicht konkret äußern – bei ihnen sei das Zuckerfest zum Ende des Ramadan traditionell ein großes Fest, sagte Kripo-Chef Thomas Breyer lediglich.
Strafanzeigen möglich
Ob die massenhaften Corona-Verstöße strafrechtliche Konsequenzen haben, ist noch offen. Die Stadt sei vorerst damit beschäftigt, die Infektionsketten nachzuvollziehen, sagte Staatsanwaltschaft-Sprecher Buick. „Wenn sie etwas mehr Luft haben, werden sie entscheiden, gegen wen Ordnungswidrigkeiten-Verfahren eingeleitet und gegen wen Strafanzeigen erstattet werden sollen.“
Ein erheblicher Teil der Personen habe sich nach den Verstößen gegen die Corona-Regeln den behördlich angeordneten Tests zu entziehen versucht, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Göttinger Stadtrat, Tom Wedrins. Der fordert eine scharfe Ahndung der Delikte. (mik / DPA)