Appell an Menschen mit weißer Haut: Wie eine Hamburgerin gegen den Rassismus kämpft
Mal sind es abfällige Blicke, mal Worte, die erst beleidigen und dann verletzen, in schlimmeren Fällen ist es körperliche Gewalt: Menschen, die keine weiße Haut haben, müssen auch in Hamburg mit erschütternden Alltagserfahrungen klarkommen. Mit Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung, im beruflichen wie im privaten Leben. Die Hamburgerin Charlotte Nzimiro (26) kennt das – und sie kennt die Ausflüchte und Relativierungen, mit denen viele reagieren, wenn das Thema Rassismus auf den Tisch kommt. Die Hamburgerin will sich mit all dem nicht abfinden – und kämpft.
Ein Gerichtsurteil im vergangenen Winter brachte für Charlotte Nzimiro das Fass endgültig zum Überlaufen: Ein AfD-Abgeordneter hatte im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mehrfach das Wort „Neger“ verwendet, einen Ordnungsruf der Landtagspräsidentin kassiert, dagegen geklagt – und letztendlich vom Landesverfassungsgericht Recht bekommen. Die Verwendung dieses üblen rassistischen Schimpfworts: In bestimmten Kontexten okay, urteilten die Richter. Für Rechte eine Art Freifahrtschein.
„Ich habe das Urteil gelesen und gedacht: Ich muss jetzt etwas dagegen tun“, sagt Nzimiro. Die 26-Jährige startete eine Petition, mit der sie seitdem darum kämpft, dass der Begriff auch juristisch als Beleidigung anerkannt wird. „Das Wort ist degradierend, entmenschlichend – und es rückt uns als Menschen in eine Position, dass wir Menschen zweiter Klasse sind“, sagt sie. Mittlerweile haben über 130.000 Menschen die Petition unterzeichnet – ein Signal in die richtige Richtung. „Es geht mir nicht darum, das Wort zu „verbieten„“, sagt Charlotte Nzimiro. „Es geht mir darum, das Wort einzuordnen, aufzuklären.“
Charlotte Nzimiro: „Ich kenne kein Leben ohne Rassismus“
Die Hamburgerin ist mit Rassismus groß geworden. „Ich kenne kein Leben ohne“, sagt die junge Frau, die in Hannover aufwuchs und vor sechs Jahren nach Hamburg zog. Schon im Kindergarten wurde sie mit dem N-Wort beschimpft. „Da wusste ich noch gar nicht genau, was das Wort bedeutet. Aber es hat schon das schlechte erniedrigende Gefühl in einem hervorgerufen.“
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Mit elf hatte sie die erste Begegnung mit einem Neonazi, der sie in Springerstiefeln verfolgte und dabei lachend ein Kabel schwing. „Da hab ich panische Angst bekommen. Weil mir meine Eltern schon früh erzählt haben, dass es Menschen gibt, die mich aufgrund meiner Hautfarbe hassen.“
„Die AfD hat den Ton in der Debatte verschoben“
Auch wenn Rechte heute in den meisten Fällen nicht mehr so Klischee-behaftet auftreten: Rassismus und Alltagsdiskriminierung gehören für Charlotte Nzimiro und alle anderen Menschen mit schwarzer Haut nach wie vor zum Alltag.
„Die AfD hat den Ton in der Debatte nochmal deutlich verschoben – und Rassismus wieder deutlicher zu Tage befördert.“ Wer sich wie Charlotte Nzimiro offensiv äußert, wird angegriffen. Bei Facebook schreibt man ihr, dass sie weggesperrt gehöre oder dahin abgeschoben, wo sie herkommt. „Aber das ist nun mal Hannover.“
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Charlotte Nzimiro lässt sich von stumpfen Pöbeleien nicht kleinkriegen. Wie andere Aktivistinnen aus der „Schwarzen Community“ klärt sie über Rassismus auf, erhebt ihre Stimme dagegen. „Wir übernehmen eine Rolle, die das Bildungssystem in Deutschland nicht wahrnimmt, leisten auch historische Aufklärungsarbeit über die Diskriminierungsgeschichte schwarzer Menschen.“
Charlotte Nzimiro appelliert an Menschen mit weißer Haut
Nach dem rassistischen Mord an Georg Floyd in den USA hat sie ein bewegendes Video mit dem Titel „Dear White People“ („Liebe weiße Mitmenschen“) aufgenommen, indem sie den Finger in eine wichtige Wunde legt: Die Rolle weißer Menschen im Kampf gegen Rassismus. „Nutzt eure Privilegien, die ihr habt – und kämpft an unserer Seite“, fordert die 26-Jährige in dem Video bei Instagram.
„Das ist zwar eine unangenehme Sache, die Dinge so deutlich anzusprechen – aber das musste einfach mal raus“, sagt Nzimiro über ihren bewegenden Beitrag. „Es reicht nicht, zu sagen: “Ich bin kein Rassist„ oder „Ich habe auch Freunde mit anderer Hautfarbe„. Man muss etwas sagen, wenn man Rassismus sieht oder rassistische Äußerungen hört, egal ob im öffentlichen Raum, im beruflichen oder im privaten Leben, wenn man merkt, dass Menschen anders behandelt werden, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben – und sich nicht nur seinen Teil denken.“
Die eigene Rolle im Kampf gegen Rassismus verstehen
Von Menschen mit weißer Hautfarbe wünscht sie sich, dass sie sich selbst hinterfragen, sich anschauen, welche Privilegien sie in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft genießen – und sich mit dem eigenen Verhalten auseinandersetzen: „Das kann auch unangenehm sein, wenn einem bewusst wird: Oh, ich lege doch ab und an rassistisches Verhalten an den Tag.“ Jeder müsse seine Rolle im gesellschaftlichen System verstehen, sich dieser bewusst werden – „und dann Teil der Lösung im Kampf gegen Rassismus werden.“