Corona in Pflegeheimen: Warum kann Hamburg seine Alten nicht besser schützen?
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Das beschauliche Tübingen gilt derzeit als Vorbild bei der Corona-Bekämpfung in der Risikogruppe der Alten: Massenhaft Schnelltests in allen Pflegeheimen der Stadt, Extra-Einkaufszeiten in Supermärkten und Gratis-Taxifahrten statt voller Busse. Wären das auch Maßnahmen für eine Millionenstadt wie Hamburg?
„Generell lässt sich Tübingen nur schwer mit einer Großstadt wie Hamburg vergleichen“, heißt es aus der Sozialbehörde: „Testungen in Pflegeeinrichtungen sind für Besucherinnen und Besucher gemäß Testkonzept auch in Hamburg regelhaft vorgesehen.“
Und statt Taxi-Gutscheine für Rentner würden jetzt ja gratis-FFP2-Masken für die gefahrlose Nutzung von Bus und Bahn ausgegeben.
Schnelltests in Pflegeheimen: Tübingen als Vorbild für Hamburg?
Tatsächlich sind die Dimensionen sehr unterschiedlich: Während es in der baden-württembergischen Studentenstadt neun Alten- und Pflegeheime gibt, betreibt alleine die Diakonie in Hamburg 43 Pflegeeinrichtungen mit gut 5000 Plätzen.
Wie bereiten sich die Heime der Diakonie auf die Festtage vor? Kann man Familien verbieten, betagte Angehörige an Heiligabend nach Hause zu holen? Wenn es vielleicht das letzte gemeinsame Weihnachten ist? Wie schützt man die Alten am besten?
„Das ist sehr, sehr schwierig“, so Katrin Kell, Fachbereichsleitung Pflege und Senioren bei der Diakonie Hamburg zur MOPO: „Wir setzen da auf ganz viel freiwillige Rücksichtnahme der Angehörigen, dass sie sich überlegen, ob es in diesem Jahr wirklich nötig ist. Und wenn, dass sie darauf achten, dass die alten Menschen durchgängig eine FFP2-Maske tragen. Und dass sie Besuche im Heim über die Festtage möglichst entzerren, weil die Personaldecke dann besonders dünn ist.“
Alle Heime seien mit Schnelltests ausgerüstet, erklärt Kell. Vorrang bei den wöchentlichen Tests haben die Mitarbeiter. Eine offizielle Testpflicht für Bewohner und alle Besucher stößt auf Skepsis, denn: „Die große Frage ist, wer die Tests durchführen soll“, so Kell zur MOPO.
Zunächst heiß es, nur examinierte Pflegekräfte dürfen die Abstriche machen, was besonders kleinere Heime vor Riesenprobleme stellte, wenn die Fachkräfte gerade so mit Ach und Krach für die Pflege der Bewohner reichten. Inzwischen haben sich zahlreiche Freiwillige bei der Diakonie gemeldet, etwa Ärzte im Ruhestand, um die Schnelltests durchzuführen. Einige Heime setzen auch auf Dienstleister, deren Honorare sie bei der Pflegekasse einreichen können.
Pflicht-Schnelltests an allen Bewohnern hält Kell für nicht sinnvoll: „Das machen wir derzeit nur bei denjenigen, die noch mobil genug sind, die Einrichtung zu verlassen.“ Die Gruppe, die unter allen Umständen vor einer Infektion bewahrt werden muss, das seien demente Bewohner mit Bewegungsdrang: „Das ist dramatisch, wenn diese Menschen infiziert sind, weil die im Ernstfall ganze Stationen anstecken können. Sie einzusperren, wäre jedoch eine unrechtmäßige Freiheitsberaubung.“
Pflegen&Wohnen betreibt 13 Einrichtungen in Hamburg mit 2690 Bewohner und 2000 Mitarbeitern. Seit zwei Wochen bietet das Unternehmen Pflegepersonal, Bewohnern und Angehörigen wöchentliche Schnelltests an, hat in der erste Woche 2000 Tests durchgeführt und rechnet in der zweiten Woche mit 2800.
Schnelltest in Pflegeheimen: Unternehmen in Hamburg streckt 280.000 Euro vor
Rund 280.000 Euro hat das Unternehmen für die Testkits vorgestreckt, holt sich das Geld von den Pflegekassen zurück. Die Teilnahme ist (noch) freiwillig: „Derzeit nehmen rund 60 Prozent der Bewohner das Angebot an“, so Thomas Flotow, Sprecher der Geschäftsführung. Ziel sei es, die Quote auf 80 Prozent zu erhöhen.
Von den Beschäftigten bei Pflegen&Wohnen lassen sich aktuell 70 Prozent regelmäßig testen. Aber: Von den Besuchern nimmt derzeit nur jeder Dritte das Angebot freiwillig wahr – obwohl in vielen Fällen Angehörige ohne Symptome das Virus in die Einrichtungen geschleppt haben und Ursache für die fatalen Ausbrüche in den Einrichtungen waren.
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Flotow sieht die eher geringe Testbereitschaft der Angehörigen mit Sorge: „Wir würden gern eine Diskussion anstoßen, ob gerade im Fall eines verschärften Lockdowns nicht eine Testverpflichtung eingeführt werden sollte. Die Beschaffung entsprechender Testmengen erscheint uns derzeit nicht als Hinderungsgrund.“