• Sigrid Schulze (85) sagt: „Corona hat mich einsam gemacht!“
  • Foto: Florian Quandt

„Fühle mich diskriminiert“: Hamburger Seniorin: Darum macht Corona uns Ältere so einsam

Uhlenhorst –

In Krankenhäusern gelten strenge Regeln für Besuche, Pflegebedürftige dürfen ihre Angehörigen längst nicht so oft sehen wie früher, Umarmungen sind nur kurz erlaubt: Corona-Maßnahmen schützen, treiben aber auch viele Menschen in die soziale Isolation. Die Generation der Älteren ist davon besonders betroffen. Eine von ihnen: Sigrid Schulze. Sie ist 85 Jahre alt und fühlt sich vergessen. Die treue MOPO-Leserin erzählt, warum Corona sie einsam macht.

Einsamkeit ist kein neues gesellschaftliches Phänomen – doch seit der Pandemie hat sie sich für viele Menschen nochmal gesteigert. „Man kann sich nirgendwo mehr zusammensetzen. Aber davon sind ja nicht nur wir Alten betroffen, das geht ja allen so“, sagt die 85-jährige Sigrid Schulze aus Uhlenhorst. Doch einiges betrifft vor allem ihre Generation: Ältere Menschen müssen als potenzielle Risikopatienten besonders geschützt werden und leben nicht nur mit der Angst vor Ansteckung, sondern auch davor, immer mehr in die Unselbstständigkeit abzurutschen.

Hamburger Seniorin: „Darum macht Corona mich einsam“

Sigrid Schulze lebt alleine in ihrer Wohnung und ist weitestgehend gesund. Nur das Laufen fällt ihr etwas schwer. Ihr Sohn kommt einmal die Woche vorbei und hilft ihr bei den Einkäufen, ihre Tochter muss mittlerweile selbst gepflegt werden. Die Nachbarn helfen ebenfalls.

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Eine der am schwersten wiegenden Entwicklungen, die durch Corona noch weiter beschleunigt wurde, ist für Sigrid Schulze die Tatsache, dass alles online stattfindet. „Wir sind vor dem Computerzeitalter aus dem Berufsleben ausgeschieden und kommen mit der sich immer rasanter entwickelnden elektronischen neuen Welt nicht mehr zurecht“, sagt sie. Gerade mal ein Handy, in das ihre Kinder die wichtigsten Nummern eingespeichert hätten, würde sie noch bedienen können. Die meisten Menschen in ihrem Alter hätten gar kein Internet.

Alles online in der Corona-Pandemie: Rentner fühlen sich hilflos

Da fängt es schon beim Ticketservice an: Eintrittskarten für Schwimmbäder oder fürs Kino gibt es seit den Corona-Beschränkungen fast nur noch online. „Man kann nirgendwo mehr hin: Eine Bekannte, die ins Schwimmbad wollte, musste ihren Sohn bitten, eine Eintrittskarte zu buchen, weil sie selbst kein Internet hatte.“

Auch bei Bestellungen sei ihre Generation immer auf Hilfe angewiesen, denn manchmal bleibt ihr auch nichts anderes übrig, als doch im Internet zu bestellen. Zum Beispiel, wenn bestimmte Geschäfte wie Möbelhäuser zu weit außerhalb liegen und für sie ohne Auto nicht mehr erreichbar sind. „Und wer sich etwas liefern lässt, zahlt oft obendrauf.“

Hamburger Seniorin wünscht sich Hilfe von Institutionen

Ein weiteres Beispiel: Die Fahrkarten-Rabatte des HVV gibt es in Hamburg nur für App-Nutzer. „Die Fahrpreise werden gesenkt, aber nur für diejenigen, die nicht bar bezahlen. Wer ist das wieder? Wir Alten natürlich nicht. Ich fühle mich diskriminiert“, sagt die Hamburgerin.

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Einsamkeit und das Gefühl, durchs Raster zu fallen, machen der Seniorin zunehmend zu schaffen. „Es ist schwierig. Man kann ja im Moment kaum Kontakte knüpfen“, erklärt Sigrid Schulze. Ihr Mann sei vor einem Dreivierteljahr verstorben, auch viele ihrer Freunde würden nicht mehr leben. Sie wünscht sich, dass ihre Generation mehr Aufmerksamkeit bekommt. „Es müsste mal eine Institution von sich aus auf uns alte Leute zukommen und fragen, wie es uns geht und wie sie uns helfen können.“

Hamburger Initiative schenkt Einsamen ein offenes Ohr

Einige Angebote gibt es bereits: Um Menschen in dieser schwierigen Zeit zu helfen, hat die Bundesregierung die Initiative „Offensive psychische Gesundheit“ gestartet. Daran beteiligt sich auch eine gemeinnützige Initiative aus Hamburg, die sich seit März für mehr Offenheit im gesellschaftlichen Umgang mit seelischer Belastung während Corona einsetzt.

Dafür wurde ein Netzwerk aus über 250 geschulten Menschen gegründet, die anderen ehrenamtlich zuhören – das Ganze ist kostenlos. Wer Redebedarf hat, findet unter www.virtualsupporttalks.de einen Ansprechpartner und schreibt ihm eine E-Mail. Noch am selben Tag soll es eine Rückmeldung geben oder sogar direkt ein Telefongespräch möglich sein. Eine schöne Idee – doch auch hier brauchen Senioren für den Erstkontakt Hilfe, wenn sie keinen Internetzugang haben. 

AWO in Hamburg bietet Angebote für alte Menschen

Auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) kümmert sich besonders in diesen Zeiten um vereinsamte Menschen und bietet für Senioren Hilfsangebote. In Hamburg gibt es normalerweise 24 Seniorentreffs, die über die ganze Stadt verteilt sind. Doch seit dem Teil-Lockdown im November musste auch dieses Angebot eingestellt werden – vorerst bis Ende November. Die Schließung ist insbesondere für die allein lebenden älteren Menschen ein harter Schlag. 

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„Die Älteren waren von den umfassenden Kontaktbeschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie bereits im Frühjahr besonders schwer betroffen. Andererseits gehört diese Gruppe aufgrund ihres Alters auch zur Risikogruppe. Daher hat die Sicherheit vor einer Ansteckung für uns auch oberste Priorität“, erklärt Jutta Blankau, Präsidiumsvorsitzende der AWO Hamburg. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern soll der Kontakt zu den Senioren aufrecht erhalten werden – zum Beispiel per Telefon. 

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