Impfstoff-Verschwendung: Hamburgs Ärzte streiten mit Senat um Zusatz-Dosis
Rund 28,5 Prozent der Hamburger haben bisher mindestens eine Corona-Impfdosis erhalten. Im Impfzentrum an den Messehallen werden täglich bis zu 8000 Personen geimpft – doch es könnten noch deutlich mehr sein. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern schmeißt Hamburg noch immer die Reste aus den Impf-Fläschchen weg. Ärzte kritisieren dieses Vorgehen scharf und impfen auf eigene Verantwortung mit Rest-Impfstoff. Doch der Senat verweigert weiter die rechtliche Unterstützung.
Bei der Debatte geht es um die Anzahl der aus einem Impf-Fläschchen gewonnen Impfdosen. Laut Herstellerangabe sind das beim Wirkstoff von Biontech sechs Dosen. Das entspricht auch der Vorgabe der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA). Ärzte und Apotheker argumentieren aber schon seit längerem, dass durch präzises Aufziehen der Spritzen noch eine weitere Dosis aus den Fläschchen gewonnen werden könnte.
Impfstoff-Verschwendung: Ärzten fehlt Rückendeckung
Auch viele Hamburger Hausärzte impfen bereits mit der siebten Dosis. Doch bisher gibt es dafür keine rechtliche Grundlage. Die Ärzte handeln auf eigene Verantwortung, die Patienten müssen sogar unterschreiben, dass sie sich freiwillig mit dem Rest-Impfstoff impfen lassen. „Wir würden uns Rückendeckung und eine offizielle Freigabe wünschen“, sagte Dr. Jana Husemann, Vorsitzende des Hausärzteverbands in Hamburg, kürzlich der MOPO.
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Und in einigen Bundesländern gibt es diese Rückendeckung auch bereits. So wird beispielsweise in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen schon mit der siebten Dosis geimpft. Der Hamburger Senat hingegen lässt die Verantwortung bei den Ärzten: „Wir wissen von etlichen Medizinern, denen das gelingt, und freuen uns über jede „zusätzlich“ mögliche Schutzimpfung“, so Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde in Hamburg.
Die „siebte Spritze“: Eine rechtliche Grauzone
Eine rechtliche Regelung sei in Hamburg aber nicht vorgesehen, es fehle die Regelungskompetenz. Rheinland-Pfalz hingegen übernimmt explizit die Haftung auch für die siebte Impfung, wie der NDR berichtet. Aus einem Informationsschreiben des Bundesgesundheitsministeriums an die Länder geht außerdem hervor, dass die Entnahme zusätzlicher Impfdosen unter bestimmten Voraussetzungen möglich und gesetzlich zulässig sei.
Am Montag forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Bund auf, eine rechtliche Regelung zu ermöglichen, damit auch die „siebte Spritze“ zulässig ist. Die Verantwortung allein den Impfärzten zu überlassen und so einen undurchsichtigen Graubereich zu schaffen, kritisierte Söder.
Hamburg: Täglich gehen über 1000 Dosen in den Müll
Trotzdem werden im Impfzentrum an den Messehallen weiterhin täglich über 1000 Impfdosen aus rechtlichen Gründen weggeworfen. Anstatt der rund 8000 Impfungen könnten jeden Tag über 9000 Menschen das Mittel gegen das Corona-Virus verimpft bekommen, wenn aus jedem Fläschchen sieben Spritzen aufgezogen werden würden. Zehntausende Impfdosen wurden so allein im Impfzentrum schon verschwendet.
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Die Hamburger Sozialbehörde begründet die Entscheidung des Senats, die siebte Impfung nicht auch im Impfzentrum zu nutzen, mit den Vorgaben der Europäischen Arzneimittel Agentur (EMA) und schiebt die Verantwortung weiter auf die Ärzte. „Wir wollen mit den Schutzimpfungen Sicherheit schaffen, und hier kann es keine Experimente geben. Im Interesse der Geimpften steht die ordnungsgemäße und bestimmungsgemäße Durchführung an erster Stelle“, so Helfrich.
Hamburg: Sozialbehörde schiebt Verantwortung auf Ärzte
Falls im Einzelfall noch ausreichend Impfstoff für eine weitere Spritze vorhanden wäre, müssten das die Ärzte eigenverantwortlich entscheiden. „Diese Entscheidung muss kompetent und verantwortlich getroffen werden. Deswegen ist in Deutschland bei jeder Impfung ein Mediziner zugegen, der für genau solche Fragen die Verantwortung trägt, und für diese Tätigkeit werden die Ärzte auch im Impfzentrum bezahlt“, erläutert Helfrich.
Der bayerische Hausarzt Christian Kröner erklärte jüngst in einem Interview mit der „Welt“, wie leicht ein oder sogar zwei (beim Wirkstoff von AstraZeneca) zusätzliche Impfdosen herausgeholt werden könnten. Statt mit normalen Spritzen arbeite er mit sogenannten „Feindosierspritzen“, bei denen durch die spezielle Form kein Impfstoff während der Verabreichung verloren ginge.
Corona-Impfstoff: Spezielle Spritzen ermöglichen mehr Impf-Dosen
„Vorgesehen ist vom Hersteller, dass in den Fläschchen eine bestimmte Anzahl von Dosen ist, für die er garantieren muss. Bei Biontech sechs, bei AstraZeneca zehn. Damit aber garantiert ist, dass Ärzte mit einer normalen Impfspritze, bei der Verluste entstehen, diese Zahl auf jeden Fall herauskriegen, wird etwas mehr eingefüllt. Mit speziellen Spritzen ist das Aufziehen aber deutlich präziser und sparsamer möglich“, erklärte Kröner der „Welt“.
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Auch der Hamburger Krankenhausträger Asklepios kritisiert die Verschwendung des Impfstoffs scharf. Kai Hankeln, Chief Executive Officer (CEO) der Asklepios Kliniken Gruppe, fordert deswegen eine digitale Warteliste, auf der sich Impfwillige eintragen können, um spontan mit übrig gebliebenem Impfstoff versorgt zu werden. „Es ist ein Skandal, dass bundesweit immer noch Impfstoffreste weggeworfen werden, anstatt sie kurzfristig an Impfwillige zu verimpfen“, meint Hankeln.
Bisher gibt es solche Listen in Hamburg nicht, in anderen Regionen Deutschlands verlaufen entsprechende Modellprojekte aber bereits sehr erfolgreich.