In Italien gestrandet: Wie Corona mir die längste Reise meines Lebens einbrockte
Ich bin zu Hause. Diese Worte, die vielen zurzeit Unbehagen bereiten, bedeuten für mich Erleichterung. Denn ich habe es geschafft, bin aus meinem Urlaubsort auf Sizilien den langen Weg durch ganz Italien und die Schweiz bis nach Norddeutschland gefahren. Ein Abenteuer zwischen verlassenen Tankstellen, ständigen Kontrollen und Bangen, ob alles klappt.
Seit Italiens Regierungschef Conte Anfang März das gesamte Land dichtmachte, saß ich auf der Insel fest (hier Nachlesen). Anders als Hotelurlauber hatte ich Glück, dass ich bei meinem italienischen Gastgeber Giorgio, bei dem ich vorher zum Arbeitsurlaub war, wohnen durfte. Auch auf unbestimmte Zeit. Außer mir waren noch eine Polin und eine Argentinierin in Fiumefreddo di Sicilia bei Giorgio gestrandet.
Unsere Tage waren streng strukturiert: morgens bis mittags arbeiten im Garten, gemeinsames Mittagessen, dann Freizeit, um zu lesen oder zu faulenzen, abends gemeinsam kochen, später Karten spielen. Diese Routine rettete uns vor dem Lagerkoller. Wir lachten, hatten Spaß. Und dennoch überfiel mich ab und zu Unruhe. Immer dann, wenn die Frist der Ausgangssperre erneut nach hinten verschoben wurde. Oder als die Fluggesellschaften ankündigten, definitiv nicht vor Mai, vielleicht sogar erst im Herbst wieder Flüge von und nach Italien anzubieten.
Doch da waren Menschen, die mir Hoffnung gaben. Menschen, die sich auf meinen MOPO-Artikel bei mir gemeldet hatten. So versorgte mich Sabine, eine Deutsche, die in Fiumefreddo lebt, mit Lektüre. Die Übergabe der Bücher an einer einsamen Tankstelle glich einer Geheimmission, denn ohne triftigen Grund darf man in Italien nicht vor die Tür. Spaziergänge sind verboten, einkaufen darf eine Person pro Haushalt einmal am Tag. Als die Carabinieri kamen, sprang Sabine in ihr Auto, ich ging zur Tankstelle und kaufte – als Nichtraucherin – Zigaretten. Die gelten nämlich als „necessità“, als Notwendigkeit.
Einmal beim Einkaufen, als ich schon eineinhalb Stunden in der Schlange vor dem Supermarkt stand, hielt ein Polizeiauto direkt bei mir. Ein Polizist mit Sonnenbrille, Mütze und Mundschutz stieg aus, kam auf mich zu und kontrollierte meinen Ausweis, fragte, wo ich wohne. Es ging zwar alles gut, aber diese ständigen Kontrollen gaben mir das Gefühl, ein Schwerverbrecher zu sein. Auch wenn ich ganz legal unterwegs war.
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Ein deutscher Militärpfarrer, der auf Sizilien stationiert ist, meldete sich bei mir, machte mir Mut und kümmerte sich um mich. Und dann meldete sich Ute, die in der Nähe von Palermo mit ihrem Wohnwagen auf einem Campingplatz festsaß. Auch bei ihr waren, wie bei mir, die Flüge, alle Fähren mehrfach verschoben und gecancelt worden. Wochenlang schrieben wir uns bei WhatsApp, tauschten Neuigkeiten aus. Dann bekamen wir mit, dass ein deutsches Pärchen es geschafft hatte, die Pendlerfähre von Messina nach Kalabrien, also zum Festland, zu nehmen. Vorab buchen gehe nicht. Man müsse hinfahren und sein Glück versuchen. Wenn Platz auf der Fähre sei, käme man mit.
Als klar war, dass Sizilien auf lange Zeit abgeriegelt bleiben würde, machten wir uns auf den Heimweg. Ute warnte mich: „Das wird ein Höllenritt.“ Zu zweit im Wohnwagen, mit einer fremden Person auf engstem Raum für eine sechs Tage lange Fahrt vom äußersten Süden Italiens bis nach Deutschland. Aber es war unsere einzige Chance. Ute sammelte mich in Fiumefreddo ein. Beim vorherigen Abschied von meiner liebgewonnenen „Zweitfamilie“ flossen ein paar Tränen. Und zu viel ging mir im Kopf herum. Zu viele Unsicherheiten, zu viel, was hätte schiefgehen können.
Als wir am Hafen von Messina ankamen, standen schon an die 30 Autos kreuz und quer vor dem Tor zur Fähre, obwohl es noch drei Stunden bis zur Abfahrt waren. Ein Italiener sagte mir, dass es nach dem Prinzip gehe, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Also parkten Ute und ich und warteten. Als das Tor endlich aufging, mussten Polizisten den Verkehr regeln, weil aus allen Richtungen Autos durch das Tor zu kommen versuchten. Wir schafften es. Anschließend wurden wir drei Mal kontrolliert: von einem Carabiniere, der unsere Ausweise checkte, von einem Polizisten, der unsere „autocertificazione“ überprüfte, und von einer Dame, die bei allen Passagieren Fieber maß. Aber wir kamen auf die Fähre und jubelten laut vor Freude. Wer uns sah, hielt uns bestimmt für verrückt.
Auf dem Festland fuhren wir an der ersten Raststätte ab und zwängten uns in das enge Wohnwagenbett. Außer uns standen dort nur wenige Lkw, deren Generatoren uns wach hielten. Am nächsten Tag ging es weiter, die Reise gen Norden verschwamm zu einem einzigen langen Trip. Die Straßen waren leer. Selbst Laster begegneten uns nur eine Handvoll. Zum Glück hatten die Raststätten geöffnet, sodass wir uns mal frischmachen und sogar einen Cappuccino gönnen konnten. Oder ein Eis am Stiel! Wir wähnten uns im siebten Himmel. Allerdings waren alle Raststätten verlassen, dunkel, wie ausgestorben. Nur ein kleiner Bereich um die Kasse herum war beleuchtet. Wir begegneten niemandem außer ein paar Truckern, die nachts wie wir Pause machten und verschlafen zu den Waschräumen schlichen.
An der Schweizer Grenze sagte man uns, dass wir die Autobahn nicht verlassen dürften. Für uns nichts Neues; das kannten wir schon aus Italien.
An der deutschen Grenze hielten uns zwei junge Bundespolizisten an. Fast 50 Minuten brauchten die beiden, um Ute und mich zu belehren und zu prüfen, ob es Utes Arbeitgeber (einen Pflegedienst) tatsächlich gibt. Einer der Polizisten sagte, wir müssten uns in 14-tägige Quarantäne begeben, das für uns zuständige Gesundheitsamt würde sich melden.
Ich fragte nach, ob die anrufen oder ich mich melden müsse. Aber er wiederholte, wir müssten nichts tun, man würde sich bei uns melden. Später auf der Fahrt las ich auf dem Belehrungszettel, den der Beamte uns in die Hand gedrückt hatte, dass wir dem Gesundheitsamt Bescheid geben müssten. Als ich bereits zu Hause war und dort anrief, musste ich feststellen, das das für mich zuständige Gesundheitsamt geschlossen hat. Ute erging es ähnlich. So sind meine Reisebegleiterin und ich jetzt in freiwilliger Quarantäne. Überwacht wird das offenbar nicht.
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Zunächst aber fuhren wir nach Düppenweiler, einem kleinen Dorf im Saarland. Dort durften wir noch eine Nacht im Wohnwagen auf dem Grundstück von Utes Arbeitgeber verbringen. Eine Dusche, eine Tiefkühlpizza und ein Bier – wir feierten unsere Heimkehr und gleichzeitig Abschied. Denn am nächsten Morgen fuhr ich mit einem Mietwagen nach Hamburg – und staunte, dort angekommen, über die Massen an Lkw und Autos, die unterwegs waren.
Ich sah Leute Hand in Hand spazieren gehen, Fahrrad fahren oder joggen. Alle ohne Mundschutz. Das schockte mich. Nach meiner Zeit, die ich erlebte wie in einem Katastrophenfilm, mit stillen, wie ausgestorbenen Städten, leeren Straßen, nach Kontrollen, Angst und Isolation, konnte ich diese Bilder kaum verarbeiten. Aber als ich schließlich den Mietwagen abgegeben und nach Wochen endlich wieder meine Wohnung betreten hatte, fühlte ich, wie mir eine Last von der Seele fiel. Zu Hause!