Debatte um Kay Ray: Ein schlechter Türken-Witz ist keine Job-Garantie
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Auf dem Kiez ist ein Streit um Kunstfreiheit entbrannt. Der ist wichtig – und ganz schön kompliziert. Haben Sie hin und wieder Lust, einen Witz auf Kosten einer Minderheit zu machen oder zu hören? Garniert mit rassistischen Klischees aus der unteren Schublade? Vielleicht darüber, dass schwarze Männer ein großes Genital hätten? Juden alle geldgierig seien? Und „alle Türken“ irgendwelche Mütter fickten, wie es der Comedian Kay Ray neulich zum Besten gab? Wenn nein, halte ich das für eine gute Nachricht.
Wenn ja, kommt hier zunächst eine gute Nachricht für Sie: Das dürfen Sie. Also: Es ist rechtlich erlaubt. Und: Es passiert die ganze Zeit. Auf Bühnen, in Internet-Foren. In Podcasts. Im Fernsehen. Sie müssen aber damit leben, dass es auch Leute gibt, die das blöd oder sogar gefährlich finden und es nicht unterstützen wollen oder offen und deutlich kritisieren. Das ist dann die vielbeschworene Meinungsfreiheit in ihrer ganzen Breite.
Hamburg: Komiker Kay Ray fliegt aus Tivoli-Crew
Aktuell gibt es Ärger um Kay Ray. Der erfolgreiche Comedian ist auf den Bühnen der Reeperbahn ein Veteran. Seit vielen Jahren gibt es dort und anderswo eine wilde Show von ihm zu sehen, die radikale Zoten und Tabubrüche beinhaltet. So ist der 55-Jährige, der oft stark geschminkt und wild toupiert auftritt, auch dafür bekannt, dass er auf der Bühne mit seinem Penis Figuren formt.
Zuletzt hat er vor ein paar Wochen dies hier im Schmidt Theater gesagt: „Wie kann Herr Böhmermann auch schreiben, dass Erdogan eine Ziege fickt? Das geht natürlich nicht, vor allem nicht, wo wir genau wissen, dass alle Türken meine Mutter ficken. Was denn? Machen Sie mal einen Türken wütend, dann sagt der: ,Ich ficke deine Mutter!‘ Die große Frage lautet: Warum wollen die eigentlich alle meine Mutter ficken? Die ist noch gut in Schuss. Sie ist aber 84. Nun ist meine Mutter ja meine Mutter. Ich bin wie sie. Deshalb hätte sie große Lust, sich von einer Horde Türken durchraspeln zu lassen. (…) Ich hoffe, wir haben Muslime hier im Publikum. Das beweist: Ihr habt Humor und das ist mir eine große Freude. Bedenkt bitte: Wir dürfen in diesem Land über euch, euren Gott und eure Religion lachen. Dafür bekommt ihr auch unser Weihnachtsgeld. Ich mache Witze über alle Religionen. Wie nennt man die Vagina einer Nonne? Christstollen!“
Corny Littmann feuert Kay Ray nach Beschwerden von Mitarbeitern
Im Ergebnis führte dieser Auftritt dazu, dass Theater-Boss Littmann die Zusammenarbeit mit Kay Ray nicht verlängert hat. Der Grund sei, dass Theater-Mitarbeiter sich durch diese Worte „belästigt und beleidigt“ gefühlt hätten.
Und was dann kommt, entspricht dann der Dramaturgie aus ähnlich gelagerten Streitfällen, wie etwa neulich bei der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart, die, wie eingangs, erwähnt über Schwarze und Juden gesprochen hatte.
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Kay Ray sagt: „Eine Kündigung seitens des Schmidt Theaters aufgrund einer Beschwerde, nicht etwa des Publikums, sondern seitens junger Kellnerinnen und Kellner muslimischen Glaubens, ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der freien Kunst in diesem Land, es ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich seit langer Zeit tolerant gegenüber jedweder Religion auf St. Pauli äußern.“
Unklar bleibt, warum die Kritik und verletzten Gefühle von Kellnern weniger wert sein sollen als die des Publikums.
„Satire kann nur nach oben treten. Wer als Satiriker nach unten tritt, wird scheitern“
Manche sagen, heutzutage würden sich die Grenzen des Erlaubten immer weiter verengen. Die „Mainstream-Medien“, in der Wahrnehmung vieler „links-grün“ dominiert, forderten in solchen Fällen Zensur. Linke Shitstorms würden alles hinwegspülen, was nicht den angeblich diktierten Konventionen entspreche.
Darf man also Äußerungen, die auf einer Bühne gemacht werden, nicht kritisieren, wenn man den Eindruck hat, dass dort sorglos mit gefährlichen rassistischen Klischees gespielt wird? Wie bei Lisa Eckhart und ihren „geldgierigen Juden“. Haha, nur ein Witz! Ironie! Merkste nicht?
Der Kulturforscher Rainer Stollmann hat neulich dem „Spiegel“ gesagt: „Satire kann nur nach oben treten. Wer als Satiriker nach unten tritt, wird scheitern.“ Kay Ray spricht über die „fickenden Türken“ und meint damit wohl auch alle türkischstämmigen Deutschen. Menschen mit türkisch klingenden Namen haben bei gleicher Qualifikation größere Schwierigkeiten, einen Job zu finden oder eine Wohnung zu bekommen. Das ist erwiesen. Und sie werden immer wieder zu Opfern rechter Gewalt. Und Diskriminierung und auch Hass erwachsen aus Vorurteilen und Klischees.
Kay Ray sagt, wenn man einen Türken wütend mache, reagiere er immer gleich unflätig. Wörtlich sagt er: „Alle Türken“ wollten seine Mutter „ficken“. Das soll laut Kay Ray ein Witz sein, wiederholt aber bloß ein Vorurteil: Alle Türken sind sexualisiert aggressiv.
Kay Ray spricht erst von „Türken“, dann plötzlich von Religion und Muslimen
Corny Littmann hat als Begründung für die Beendigung der Zusammenarbeit knapp angeführt, Service-Mitarbeiter hätten sich verletzt gefühlt. Das ist ein Punkt, aber es bietet in Zeiten der erbitterten Diskussion um „Cancel Culture“ ziemlich viel Angriffsfläche für Kritik. Verletzt fühlen kann sich nach Witzen schließlich oft jemand. Hier ist ja eher das Problem, dass diese Verletzung nicht aus einer Marginalie erwächst, sondern aus dem sorglosen Spiel mit gefährlichen rassistischen Klischees. Lach da mal drüber, wenn dir genau diese Punkte täglich das Leben erschweren …
Kay Ray spricht erst von „Türken“ und dann plötzlich von Religion und Muslimen. Weil er auch Witze über Nonnen macht? Und das der Beleg dafür sein soll, dass das unverfänglich ist? Oder ist das alles dasselbe? Türken, Muslime, wollen ja alle nur „Mütter ficken“?
Ach ja, das klingt schon alles sehr trocken und miesepetrig, ich weiß. „Die Freiheit der Kunst” zu rufen, die „Meinungsfreiheit“ einzufordern, das ist irgendwie schmissiger.
Die Wahrheit ist: Ich finde, Humor darf auch wehtun. Ich will nicht alles glattgebügelt wissen. Menschen sollen das Recht haben, schlechte Witze zu machen und bösartige Dinge zu sagen. Aber ich empfinde den Nachdruck, mit dem zurzeit viele einfordern, ungestört ganze Menschengruppen bepöbeln zu dürfen, die es grundsätzlich eher weniger leicht haben, als ziemlich unangenehm. Und ich habe Verständnis dafür, wenn jemand seine Bühne dafür nicht hergeben will. „Cancel Culture“? Mal umgekehrt gefragt: Warum sollte besonders große Rücksichtslosigkeit zu einer Beschäftigungsgarantie führen?
Für Kay Ray werden sich neue Bühnen öffnen, da bin ich sicher und das ist vermutlich auch gut so. Und viele werden ihn jetzt erst recht engagieren wollen. Jeder, wie er mag.
Anmerkung der Redaktion: Das Schmidts Tivoli GmbH hat mittlerweile eine Stellungnahme abgegeben. Darin heißt es u.a.: „Es gibt keine Beschwerde eines muslimischen Mitarbeiters, der sich wegen seines Glaubens angegriffen gefühlt hat!“ Das gesamte Statement finden Sie hier.