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Rassismus bei der Polizei: Experte: „Das Problem ist die schweigende Mehrheit“

Polizei-Chatgruppen, in denen Hakenkreuze verschickt werden. Gezielte Kontrollen dunkelhäutiger Menschen und Gewalt gegenüber linken Demonstranten. Sind das Einzelfälle bei der Polizei, die deutschlandweit Schlagzeilen machen? Oder hat das Struktur? Studien sollen das Problem erhellen, das Innenministerium gab jetzt grünes Licht. Die MOPO sprach darüber mit Professor Rafael Behr von der Hamburger Polizeiakademie.

Herr Behr, Polizeistudenten haben in Berlin in einer Chatgruppe Hakenkreuze verschickt und den Holocaust verharmlost. Nicht der erste Fall. Sind das nur einzelne schwarze Schafe?
Rafael Behr: Ich habe große Vorbehalte gegen diese Theorie. Das sind keine schwarzen Schafe. Das sind junge Leute, die unverantwortliche Dinge getan haben. Aber sie jetzt schon als perfekte Rassisten abzustempeln, wäre zu voreilig. In einer Polizisten-Biografie kann jemand lange Zeit ein weißes Schaf sein, dann ein schwarzes werden und am Ende grau sein. Und außerdem gibt es ja auch dort in Berlin junge Polizisten, die das nicht mehr ausgehalten und es gemeldet haben.

Rafael Behr von der Hamburger Polizeiakademie.

Professor Rafael Behr von der Akademie der Polizei in Hamburg.

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dpa

Wenn man also nicht auf den einzelnen Täter gucken soll, was dann?
Ich würde eher auf die Situationen sehen, in denen so etwas passiert ist und möglich war. Und auf die Hierarchien, in denen sowas passiert. Wenn man mehrere solcher Chatgruppen vergleicht, gibt es sicher Gemeinsamkeiten.
Was sind das für Gemeinsamkeiten?
Wir wissen, dass es mehrheitlich junge Männer waren. Also sind offenbar das Geschlecht und das Alter von Bedeutung. Sicherlich auch der Faktor Großstadt. Bei der Wasserschutzpolizei Norderney passiert sowas wohl eher nicht. Und dann muss man gucken, was mit den Führungskräften war. Warum haben die nichts mitbekommen?
Herr Seehofer hat nun doch einer Polizeistudie zugestimmt. Was halten Sie davon?
Ich bin vorsichtig skeptisch, wenn ich sehe, unter welchen Geburtswehen Herr Seehofer letztlich zugestimmt hat. Da heißt es dann, man dürfe sie aber nicht Rassismus-Studie nennen, man müsse auch Gewalt gegen die Polizei untersuchen und auch ideologische Tendenzen in der Gesellschaft. Das ist mir zu viel aber. Und wenn das eine bundesweite Studie wird, dann werden die Personalräte aller Länder einbezogen. Und die werden von Polizei-Gewerkschaften bestückt. Da erwarte ich nichts Freies und Wohlwollendes. Sie werden die wissenschaftlich wichtigen und interessanten Fragen vermutlich rausstreichen. Hier sehe ich Einschränkungen.
Die Polizeigewerkschaften betonen, dass es innerhalb der Polizei nicht mehr radikales Denken gibt als in der Bevölkerung. Deshalb solle das auch untersucht werden. Was sagen Sie dazu?
Was ist das für eine Argumentation? Der Durchschnitt der Gesellschaft nimmt niemanden fest, hat keine Waffe und keine hoheitlichen Rechte. Polizisten kann man doch nicht mit einem Bäcker oder Schornsteinfeger vergleichen. Außerdem haben wir bereits Studien zu Radikalität in der Gesellschaft.
Können denn Einstellungs-Überprüfungen helfen, die Falschen auszusortieren?
Das finde ich absurd. Wir stellen in der Regel junge Leute ein. Die kommen mitten in der Adoleszenz in die Polizei. Was sollen die denn für eine Akte beim Verfassungsschutz haben? Das sind oft 17-Jährige, die noch nicht politisch radikal aufgefallen sind. Bei der Polizei fangen doch keine ausgebildeten Rassisten an. Da sind mal ein oder zwei, oder ein paar mehr. Doch die fallen über kurz oder lang sowieso auf. Die sind nicht das zentrale Problem.
Gibt es also gar kein großes Problem?
Doch natürlich. Das Problem ist, dass es um den einzelnen Radikalen herum eine Menge Kollegen gibt, die mit ihm Dienst tun und nicht wagen, etwas zu sagen. Wenn wir eine schweigende Mehrheit haben, die zulässt, dass sich Rassismen entwickeln, sexistische Witze oder antisemitische Sprüche. Dieses Schweigekartell ist ein Gefahr für die Integrität einer Organisation. Die Polizei muss doch sicherstellen können, dass sie menschenrechtskonform handelt. Sie hat Arrestzellen und Waffen, da muss man doch alles daransetzen, dass auch wenige Fälle so aufgeklärt werden, dass sie nicht mehr vorkommen.
Würden Sie so weit gehen, von rechten oder rassistischen Strukturen in der Polizei zu sprechen?
Nein, ich erkenne keine Strukturen, die Rassismus anordnen oder unterstützen. Aber es gibt „Aufklärungsverhinderungs-Strukturen“, sie sorgen dafür, dass so etwas stattfindet. Und gleichzeitig fehlen Strukturen des Abstellens von Problemen. Etwa Beschwerdestellen, Polizeibeauftragte oder ein anonymes Hinweistelefon für Polizisten – aber das entwickelt sich gerade.
Gibt es unter Polizisten auch so etwas wie Korpsgeist?
Korpsgeist passt als Wort nicht. Das ist ja militärisch-kriegerisch, draußen steht der Feind. Das ist nicht vorherrschend. Polizisten legen aber für ihr direktes Umfeld – die Dienstgruppe oder ihren Zug – die Hand ins Feuer. Es gibt in Hamburg den Spruch „Vom Wagen geht nichts runter“. Wer in ein solches Schweige-Gelübde hineinsozialisiert wird, der weiß, wie man sich zu verhalten hat. Man weiß, wem gegenüber man loyal ist und geht nicht zur Leitung.
In den aufgeflogenen Chats in Berlin sind ja auch keine lupenreinen Rassisten. Die beteiligten Polizisten teilen ja nicht alle die Meinungen, die da verbreitet werden. Aber sie halten zusammen, unterstützen sich. Wer gegen diese Regeln verstößt, bekommt das zu spüren. Und da reicht es schon, wenn er sich einfach aus dem Chat abmeldet.
Von Gewerkschaftsseite kommt das Argument, dass die Arbeitsbedingungen für solche Verwerfungen verantwortlich sind…
Die Arbeitsbedingungen sind für andere Berufe auch belastend. Psychiatrie, Sozialarbeiter, oder die Arbeitsagentur – was die Mitarbeiter sich alles anhören müssen. Da muss die Leitung dann gucken, wie sie ihre Mitarbeiter stärken kann, um dafür zu sorgen, dass sie nicht krank werden. Da reicht es nicht, die Gesellschaft verantwortlich zu machen.
Wird vielleicht bei der Polizei falsch rekrutiert? Fühlen sich bestimmte autoritäre Typen angezogen?
Nein. Wir ziehen keine besonders gewaltaffinen Menschen an oder autoritäre Typen oder welche, die sich austoben wollen. Dafür sind wir doch zu zivil in der Polizei. Aber nach der Zeit im geschützten Raum in der Ausbildung kommen Polizisten teils in eine Praxis, die sie persönlich so noch nicht erlebt haben. Wo Verelendung herrscht, oder Gewalt angewendet wird, die sie von zu Hause nicht kennen. Und wenn sie dann in falsche Dienstgruppen kommen, die sie nicht stützen, dann kann sich Verhärtung und Zynismus entwickeln. Da kann sich dann auch Fremdenfeindlichkeit entwickeln. Deshalb sollte man die jungen Polizisten im ersten Jahr stärker begleiten. Damit sie über ihre Erfahrungen sprechen und reflektieren können. Damit sie keinen Praxis-Schock erleben, der zu einer Radikalisierung führen kann.

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