Streit ums neue Tempo-Limit: Wie viel Rasen ist noch okay?
„Führerscheinvernichtungsmaschine“ oder gerechte Strafen für Raser? Über die StVO-Novelle von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wird seit Monaten heftig gestritten. Deutlich früher, nämlich innerorts schon bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h, ist der Lappen weg. Bis zum Inkrafttreten der Novelle am 28.April musste man in Ortschaften 31 km/h zu schnell sein, um den Führerschein für einen Monat zu verlieren. Doch als Scheuer Gegenwind bekam, ruderte er zurück, will die Novelle entschärfen. Noch aber gelten die neuen Regeln, auch wenn ADAC-Juristen meinen, sie seien sei ungültig. Das „Zitiergebot des Grundgesetzes“ sei verletzt worden, weil die Rechtsgrundlage nicht genannt sei.
Pro: Regeln, die niemand einhält, bringen nichts
Nur mal kurz vorab: Ich bin vor ein paar Tagen geblitzt worden. Waren wohl nicht ganz 71. Hoffe ich. Insofern ist schon klar: Das mit dem Fahrverbot, das geht ganz schön schnell bei den neuen Regeln. Aber sind die deshalb falsch? Oder lernen wir es in Wirklichkeit eben nur auf die harte Tour?
Jeder Autofahrer, der in Hamburg unterwegs ist, weiß doch: Es gilt Tempo 50. Aber natürlich wird überall da, wo es die Straßenverhältnisse hergeben (und teilweise auch dort, wo nicht), schneller gefahren.
Nun kann man sagen: Ist doch gut, klappt ja alles, im Großen und Ganzen.
Oder man sagt: Aus Lärm-, Umwelt- und Gesundheitsschutzgründen – also aus ziemlich guten – wollen wir, dass wirklich Tempo 50 gefahren wird. Und generell ist eine Vorschrift dafür da, dass sie eingehalten wird.
Wenn man diesem ziemlich rechtsstaatlichen Ansatz folgt, muss man feststellen: Die alten Sanktionen reichten nicht aus, um die Regeln durchzusetzen.
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Also hat man sie verschärft. Wer ein bisschen zu schnell fährt, zahlt eine Geldbuße, wer mindestens 42 (!) Prozent zu schnell fährt, ist für eine Weile seinen Lappen los. Das ist, auch im internationalen Vergleich keine besonders harte Regel, wie ich finde. Und trotzdem ist der Widerstand enorm. Unterschriften wurden gesammelt, der ADAC trommelt dagegen. Der Chef des Deutschen Städte- und Gemeindebundes will eine Abmilderung, weil sie bei vielen Menschen auf „völliges Unverständnis“ stieße. Ein Mehr an Verkehrssicherheit würden wir nicht durch „immer weitere Gängelung mit neuen und schärferen Regelungen“ erreichen.
Verkehrsminister Scheuer hat „gravierende rechtliche Bedenken“, sieht „Ungereimtheiten im Sanktionsgefüge“. Den Lappen solle beim ersten Verstoß dieser Größenordnung nur abgeben, wessen Fahrverhalten „als objektiv besonders gefährlich“ angesehen werden muss oder auf „starker Gleichgültigkeit“ oder „subjektiv grobem Leichtsinn“ beruhe.
Meine Güte. Gängelung. Rechtliche Bedenken. Da geht’s ja ans Eingemachte.
Oder ist das einfach nur verlogen? Angst vor dem Gemaule der Autofahrer-Lobby? Und, besonders spannend: Seit wann ist es aus Unions-Sicht eigentlich unzumutbar, sich an Vorschriften zu halten?
Ich jedenfalls hab mich wegen des Blitzers ganz schön erschrocken – Lektion hoffentlich gelernt. Ansonsten wohl spätestens, wenn der Lappen wirklich weg ist.
Kontra: Das ist nicht verhältnismäßig!
Seit dem 28. April gilt sie, die neue Knallhart-Tempo-Regelung. Lappen für vier Wochen weg bei innerorts 21 km/h zu schnell und außerorts ab 26 km/h. Nun regt sich Widerstand. Von einer „Führerschein-Vernichtungs-Maschine“ wird gesprochen. Der Autoclub „Mobil in Deutschland“ hat eine Petition gestartet. Mehr als 160.000 Menschen haben bereits unterzeichnet. Ich kann sie gut verstehen. Der Gesetzgeber schießt übers Ziel hinaus und feuert mit Kanonen auf Spatzen!
Gleich bei der ersten großen Tempokontrolle in Hamburg nach der Änderung der StVO traf es Anfang Mai alleine auf der Bergedorfer Straße (B5) 319 Autofahrer: Fahrverbot! Die Polizei hatte drei Tage lang in Höhe Billstedt geblitzt. Jeder Hamburger kennt diese Strecke. Schnurgerade ist sie und fast wie eine Autobahn ausgebaut. Hier gilt meist Tempo 80. Ich frage Sie: Ist derjenige, der hier 101 Stundenkilometer fährt, ein schlimmer Raser, der seinen Lappen abgeben muss? Nein!
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Um eines klarzustellen: Wer sich nicht an die Regeln im Straßenverkehr hält, der muss mit Bestrafung rechnen. Aber es langt bei den genannten Verstößen eine Geldbuße, meinetwegen auch in Höhe von 100 Euro.
Denn wen treffen harte Strafen wie Fahrverbote am stärksten? Kleine Leute wie selbstständige Kurierfahrer, emsige Postboten oder andere Menschen, die schlecht bezahlt werden und schnell von A nach B kommen müssen. Und denen geht es in Corona-Zeiten schnell an die Existenz, wenn sie vier Wochen nicht Auto fahren dürfen. Besserverdiener nehmen einfach Urlaub während des Fahrverbots oder lassen sich chauffieren. Die trifft das so gar nicht.
Noch ein Beispiel, wie schnell man in Hamburg künftig seinen Lappen verliert: Im Bereich der Eimsbütteler Bundesstraße gilt auf einigen Teilen 50, dann wieder 30 – aber nur werktags und nicht nachts. Biegt man in die Schlankreye ab, gilt erst 30, dann auf 20 Metern 50, dann wieder 30 und schließlich wieder 50. Will sagen: Einmal diesen Schilder-Wirrwarr nicht schnell genug erkannt, und der Führerschein ist weg. Das ist Unfug.
Das hat auch Verkehrsminister Scheuer (CSU) erkannt. Der will die von ihm selbst initiierte Novelle entschärfen. Unprofessionell? Kann sein. Vielleicht aber auch nur ein Politiker, der in der Lage ist, Fehler zu erkennen und auch einzugestehen. PS: Der Autor dieser Zeilen hat null Punkte in Flensburg.