Welpen als Mangelware: Corona und die Sehnsucht nach tierischem Beistand
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Züchter, die sich vor Anrufen kaum noch retten können, Hundeschulen, die einen Andrang wie noch nie erleben, Tierheime, die die Nachfrage nach Katzen kaum decken können – die Pandemie weckt in vielen Menschen den dringenden Wunsch nach tierischem Beistand. Der Markt für Hundewelpen, ob vom Züchter oder aus dem Tierheim, ist praktisch leergefegt. Kehrseite der neuentdeckten Tierliebe: Der illegale Welpenhandel boomt.
„Ich bekomme am Tag so zehn, 15 Anfragen“, sagt Jens Radtke-Laupichler, der in Ochsenwerder zusammen mit seiner Frau Labradore züchtet, die derzeit wohl beliebtesten Familienhunde. Viele Anrufer schildern, wie lange und verzweifelt sie schon nach einem Welpen suchen: „Viele Züchter-Kollegen gehen schon gar nicht mehr ans Telefon.“
Hundezüchter: Welpen binnen Minuten reserviert
Ständige Frage: „Gibt es eine Warteliste?“ Nein, sagt Ratdke-Laupichler dann: „Die Leute setzen sich sonst auf Dutzende Wartelisten, das hat keinen Zweck.“ Wenn er dann einen Wurf auf seiner Homepage anbietet, sind die Welpen binnen Minuten reserviert. Rund 30 kleine Labradore verkauft er pro Jahr, loswerden würde er ein Vielfaches.
Auch die Hamburger Hundetrainerin Inken Ramelow bekommt den Corona-Run auf den Hund zu spüren: „Es ist ein Wahnsinn, wir haben so viele Welpengruppen wie noch nie.“
Wie viele Hunde durch Hamburger Parks toben oder die Sofas ihrer Herrchen und Frauchen besetzen, ist unbekannt. Gezählt werden nur die Steuerkonten der Halter. Laut einer CDU-Anfrage an den Senat zahlten 2019 genau 50.818 Hamburger Steuern für einen oder mehrere Hunde. Im Juli 2020, also nach dem ersten Lockdown, war die Zahl auf 53.474 angestiegen.
Für Halter von Rüden hat das nervige Folgen, so Inken Ramelow: „Weil es so viel mehr Hunde auf den Straßen gibt, finden die Rüden bei jedem Spaziergang Duftspuren läufiger Hündinnen und die Rüden stehen dadurch ständig wie unter Strom.“
Bei Zucht: Auf das Wesen der Tiere wird weniger geachtet
Zwei Entwicklungen hat die Inhaberin einer Hundeschule beobachtet: „Es gibt viel mehr Menschen, die ohne jede Erstkenntnis über Hunde zu uns kommen. Und: Es gibt mehr Welpen, die ziemlich knackig unterwegs sind.“
Bedeutet: Hundekinder, die schwieriger zu bändigen sind, die ihren Haltern unter anderem in die Finger schnappen und bei denen die Halter und Halterinnen in Einzelstunden Nachhilfe brauchen. Auch das eine Folge des Corona-Hundebooms, glaubt die Expertin: „Wir HundetrainerInnen befürchten, dass die Züchter eine so hohe Nachfrage haben und daher so viel ‘produzieren‘, dass bei der Auswahl der Elterntiere mittlerweile zu wenig auf das Wesen der Hunde geachtet wird.“
Die riesige Nachfrage hat die Preise für Rassehunde explodieren lassen. Zahlt man bei einem Züchter in der Regel zwischen 1800 und 2300 Euro für einen Labrador, werden im Netz Welpen für 6000 bis 7000 Euro angeboten – und auch verkauft, oft von Menschen, die bei Züchtern keinen Hund ergattert haben und im Tierheim an den strengen Vorgaben (was passiert mit dem Hund, wenn die Familienmitglieder wieder in die Schule und ins Büro gehen?) gescheitert sind.
Hinter den Online-Anzeigen stecken oftmals mafiöse Hundevermehrer aus Osteuropa, die Hündinnen wie am Fließband decken lassen und die Welpen viel zu früh von den Müttern trennen.
Tierheime kämpfen mit dramatischen Folgen
„Fast täglich erreichen den Deutschen Tierschutzbund Anrufe von Menschen, die Hunde online gekauft haben und erst im Nachhinein feststellen, dass ihnen weder Kaufvertrag noch Papiere vorliegen oder der Welpe krank ist“, so Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes: „Die Tierheime kämpfen ganz akut mit den dramatischen Folgen, etwa, wenn zu junge kranke Welpen beschlagnahmt, abgegeben oder ausgesetzt werden.“
Erst im vergangenen Jahr hat der Hamburger Tierschutzverein (HTV) einen illegalen Tierhändler auffliegen lassen, gegen den bereits ein Hundehaltungsverbot bestand, der im Netz aber weiterhin Welpen in Massen verkaufte, sein Angebot sogar dreist noch auf Rassekatzen ausgedehnt hatte.
Die große Sehnsucht nach tierischem Beistand in der Pandemie bestätigt auch HTV-Sprecher Sven Fraass: „Die Vermittlungsanfragen haben tatsächlich deutlich zugenommen“. Aber nicht jeder Hamburger mit Lockdown-Koller bekommt ein Tier im Tierheim Süderstraße. Fraass: „Wir fühlen den Menschen immer höflich, aber deutlich auf den Zahn. Ist der Adoptionswunsch nur ein Zeichen von Langeweile und Sehnsucht nach Kontakten in Corona-Zeiten?“
Rekordverdächtig beim HTV: die Zahl der Katzenvermittlungen. Wegen Corona müssen Adoptanten vor einem Besuch online verschiedene Miezen auswählen, die sie sich ansehen wollen. Was passieren kann: Wenn man erst Tage später Zeit für einen Besuch im Tierheim hat, sind die begehrten Samtpfoten vielleicht bereits vermittelt.
Erfreulicher Nebeneffekt der Pandemie: „Bei den Hunden fällt uns auch auf, dass Sorgentiere vermittelt werden konnten“, so Sven Fraass.
Züchter Radtke-Laupichler schreibt auf seiner Homepage („wegen der vielen Nachfragen“), dass die vor wenigen Tagen geborenen Welpen bereits alle vermittelt sind. Mit dem nächsten Wurf ist erst im Oktober zu rechnen.