„Es funktioniert nicht!“: Schwedische Forscher warnen eindringlich vor Corona-Sonderweg
Volle Strände, kaum Abstand: Bilder vom Strand in Köpingsvik auf der Insel Öland mitten in der Pandemie – am 18. Juli.
Foto: imago images/TT
Stockholm –
Als eines der wenigen Länder weltweit setzte Schweden in der Corona-Pandemie nicht auf Lockdown und Einschränkungen, sondern hoffte, ohne strenge Regeln zu einer raschen Durchseuchung der Bevölkerung zu kommen: der sogenannten Herdenimmunität. Der schwedische Sonderweg war umstritten – und ist offenbar gescheitert. Wissenschaftler warnen nun eindringlich davor, ihn nachzumachen.
„Tut nicht, was wir getan haben. Es funktioniert nicht“, schreiben 25 renommierte schwedische Mediziner in einem Gastbeitrag für „USA Today“. Ihr Appell richtet sich dabei sowohl an die US-Regierung als auch an die dortige Bevölkerung.
Forscher schlagen Alarm: Sterblichkeitszahlen in Schweden „verstörend“
Seit Beginn der Pandemie habe man bei Protesten gegen die Corona-Einschränkungen in den USA immer wieder Menschen mit „Lasst es uns wie die Schweden machen“-Schildern gesehen, schreiben die Forscher. Aber das sei eine schlechte Idee: „Unsere Sterblichkeitszahlen sind verstörend.“
So sei die Todesrate in Schweden sogar noch größer als in den USA, so die Wissenschaftler weiter: 556 Tote pro einer Million Einwohner gebe es in Schweden – Stand: 20. Juli. In den USA seien dagegen nur 425 Tote pro einer Million Bürger registriert worden.
Statt Lockdown nur Ratschläge in Schweden
Schweden schlug zu Beginn der Pandemie einen Sonderweg ein: Während Nachbarländer wie etwa Dänemark einen radikalen Lockdown mit der Schließung von Schulen, Kitas, Restaurants, Bars und öffentlichen Einrichtungen anordneten, gab es in Schweden solche Maßnahmen fast gar nicht.
Die Regierung forderte ihre Landsleute lediglich auf, in Selbstverantwortung auf „Social Distancing“ zu achten. Verantwortlich dafür war Staatsepidemiologe Anders Tegnell, der nicht müde wurde, seinen Ansatz entgegen heftiger Kritik – auch von Kollegen – zu verteidigen.
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Auch Großbritannien und Belgien setzten anfangs auf diese Strategie – und mussten schon nach wenigen Wochen zugeben, krachend gescheitert zu sein. Nirgends in Europa sind so viele Menschen am Coronavirus gestorben wie in Großbritannien – nicht einmal in Spanien und Italien, wo die Pandemie besonders heftig wütete.
Fast 46.000 Tote verzeichnet das Vereinigte Königreich bisher, knapp 10.000 sind es in Belgien. Zum Vergleich: In Italien sind rund 35.000 Menschen gestorben, in Deutschland gut 9000.
Schweden beharrte trotz aller Warnsignale auf seinem Sonderweg
Obwohl es aus anderen Ländern alarmierende Signale gab, beharrte die schwedische Regierung auf ihrem Sonderweg. Für die 25 Wissenschaftler ein „Mysterium“. Denn schnell eine Herdenimmunität zu erreichen, sei von den schwedischen Gesundheitsbehörden niemals als offizielles Ziel herausgegeben worden.
Doch offensichtlich habe die Regierung gehofft, wenn sich möglichst schnell möglichst viele – vor allem junge – Landsleute ansteckten, könne „die Ausbreitung der Krankheit unterdrückt werden“. Deswegen sollen die Offiziellen auch darauf bestanden haben, Schulen und Kitas geöffnet zu lassen.
Auch wurden Haushaltsangehörige von bereits Infizierten von den Behörden aufgefordert, weiter zur Arbeit und zur Schule zu gehen, so die Mediziner weiter. Und schließlich sei die Regierung strikt gegen eine Maskenpflicht und habe die Bedeutung einer hohen Testfrequenz permanent heruntergespielt. So sollte „heimlich“ eine Herdenimmunität erreicht werden, schreiben die Mediziner.
Herdenimmunität war offenbar nicht das offizielle Ziel der schwedischen Regierung
Aber wozu diese Geheimniskrämerei? Wahrscheinlich, um sich nicht angreifbar zu machen, so die Wissenschaftler: „Zahlreiche Behörden, darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO), haben die Strategie der Herdenimmunität verurteilt“, heißt es in ihrem Artikel.
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So habe etwa Dr. Mike Ryan, Direktor der WHO-Nothilfe gesagt: „Herdenimmunität kann zu einer extrem brutalen Arithmetik führen, bei der nicht die Menschen und ihre Leben und ihr Leid im Mittelpunkt stehen.“
Schwedischer Sonderweg führte zu „Tod, Trauer und Leid“ – und half auch der Wirtschaft nicht
Unabhängig davon, ob die Herdenimmunität nun offiziell oder inoffiziell als Strategie verfolgt worden sei – das Experiment sei nicht gut gegangen, so die Mediziner. Nicht mal 10 Prozent der Schweden hätten bislang Antikörper ausgebildet, schreiben die Wissenschaftler bei „USA Today“.
Der Sonderweg habe zu „Tod, Trauer und Leid“ geführt. Und um das noch zu toppen gäbe es nicht einmal Hinweise darauf, dass wenigstens die schwedische Wirtschaft besser durch die Krise gekommen sei. „Im Moment haben wir ein Exempel für den Rest der Welt statuiert, wie man nicht mit einer tödlichen, ansteckenden Krankheit umgehen sollte.“
Am Ende werde aber auch die Pandemie „vorübergehen und sich das Leben in Richtung Normalität entwickeln.“ Und hoffentlich werde es bald einen Impfstoff geben. Bis dahin, schreiben die Mediziner, heiße es: „Durchhalten. Und nicht den schwedischen Weg gehen!“