„Keine weitere Zeit verlieren“: SPD bläst zum Corona-Wahlkampf – Breitseite gegen Union
Berlin –
Das nennt man wohl eine konzertierte Aktion. Auf diversen Kanälen sind in den vergangenen Tagen SPD-Spitzenpolitiker vorgeprescht mit erstaunlich harscher Kritik am Koalitionspartner. Und das unvermeidbare Hauptthema des Superwahljahrs nehmen sie damit auch schon vorweg. Seit diesem Wochenende ist klar: Die Genossen blasen zum Corona-Wahlkampf.
Die Zitate vom Wochenende klingen nach Beschuss, Frontalangriff, Attacke. „Keine Zeit mehr verlieren”, „mehr Verlässlichkeit“, keine „Denkblockaden“. Offiziell sitzen SPD und Union ja noch bis Herbst in einem Boot, managen gemeinsam in der Koalition die Corona-Pandemie. Die Schlagworte, die von Seiten der Sozialdemokraten aber vor allem Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn (beide CDU) um die Ohren flogen, hatten es in sich. Und auch dort, wo nicht frontal attackiert wurde, war die Message mehr als deutlich.
Giffey ignoriert Beschluss der Familienminister-Konferenz
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) machte den Anfang und schlug in der „Bild am Sonntag“ eine Corona-Ampel für eine gestaffelte Kita-Öffnung vor. Beim Koalitionspartner stieß sie damit allerdings auf wenig Gegenliebe. So kommentierte die bayrische Familienministerin Carolina Trautner (CSU) verschnupft, dass man sich doch eigentlich auf der Jugend- und Familienministerkonferenz darauf geeinigt habe, „dass ein bundesweiter Stufenplan weder notwendig noch sinnvoll ist“.
Michael Müller: „Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin“
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) legte nach: In einem höflich beginnenden Schreiben an die „sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin“, das es in Ausschnitten gleich in mehrere große Zeitungen schaffte, kritisierte er ziemlich direkt den bisherigen Kurs der Bundesregierung in Sachen Corona – fast schien vergessen, dass die eigenen Leute eben auch noch mit im Kabinett sitzen.
„Damit wir keine weitere Zeit verlieren“, so der Genosse, sollten fortan bestimmte Themen im Vordergrund stehen. Weiter unterbreitete Müller der Kanzlerin seine Vorstellungen von einem „nationalen Impfplan“ und betonte seine Forderungen nach „verlässlichen und verbindlichen Informationen zu den Impfstofflieferungen“. Eine deutliche Kritik auch an Jens Spahn, der zuletzt wegen der fehlenden Vakzine in der Kritik stand.
Stephan Weil bei „Anne Will“: Stufenweise Lockdown-Lockerungen!
Der SPD-Kollege aus Niedersachsen, Ministerpräsident Stephan Weil, setzte den Konfrontationskurs in der Talkrunde von „Anne Will“ fort: Er kündigte einen Stufenplan zur Lockdown-Lockerung an. Sein Konzept solle zwar „eine Handreichung, kein Automatismus“ sein. Für Niedersachsen sei es aber im Grunde schon vorgesehen, nun wolle er den Vorschlag in die nächsten Bund-Länder-Gespräche einbringen.
Der Plan in aller Kürze: Ab einer Inzidenz von unter 100 sollen Wechselunterricht und uneingeschränkte Trauerfeiern möglich sein; ab unter 50 der Betrieb von Hotels und Gastronomie sowie die Öffnung des Einzelhandels mit entsprechenden Hygienekonzepten sowie Präsenzunterricht möglich sein. Ab einem Wert von unter 25 sollen Theater und Kinos öffnen dürfen und Treffen von zehn Personen aus zwei Haushalten erlaubt sein. Und bei einer Inzidenz unter 10 wäre aus Weils Sicht sogar eine coronakonforme Öffnung von Musikclubs denkbar. Angela Merkel, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) oder Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dürften sehr genau zugehört haben, klang das bei ihnen doch zuletzt noch ganz anders. Altmaier etwa hatte zuletzt betont, dass auch bei einer Inzidenz von 50 keine Lockerungen kommen sollten wegen der neuen Corona-Mutationen.
Carsten Schneider: „Alternativszenario ohne Denkblockaden“
Dann diktierte noch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, den Redakteuren vom „Spiegel“ ins Notizbuch: Sollten Jens Spahn und Peter Altmaier „nicht überzeugend darlegen können“, wie sofort ausreichend Impfstoff beschafft werden könne, dann müsse „parallel“ (heißt: von SPD-Seite) ein „Alternativszenario ohne Denkblockaden“ erarbeitet werden. Rumms! Gemeint waren Zwangslizenzen für Pharma-Unternehmen.
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Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) betonte, dass sie vom Impfgipfel „mehr Verbindlichkeit und mehr Verlässlichkeit“ erwarte, SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte wie Weil in der „Welt am Sonntag“ einen „nationalen Impfplan“ und auch Malu Dreyer äußerte sich ähnlich.
Die Marschroute für 2021 scheint also vorgegeben für die SPD-Genossen: Sie spielen ab jetzt auf Sieg. Und ihr Spielfeld ist die Pandemie.