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Kommentar zu US-Wahl: Amerika, das verlorene Land

Es war ein Tag der Hoffnung. Vier Jahre Trump, all die Lügen, all die Skandale – die aufrechten Amerikaner werden sich erheben, und den Mann, der mit Niedertracht und Verunsicherung regiert hatte, mit Nachdruck aus dem Amt treiben. So hofften viele. So dachten viele. Sie haben sich geirrt. Damit droht den USA eine düstere Zukunft, egal, welcher Präsidentschaftskandidat am Ende die Oberhand behält.

Hunderttausende Todesopfer der Corona-Pandemie. Gigantische Waldbrände, verheerende Stürme. Rassistische Gewalt, die zu Tod und Hass führte. Es gibt viele Themenfelder, die offenlegen, wie falsch der Präsident lag, wenn es darum ging, Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit zu finden. Hinzu kamen Lügen, Lügen, Lügen. Vielfach dekonstruiert, aufgedeckt, erklärt, richtig gestellt.

US-Wahl: Der Hälfte der Amerikaner sind Trumps Skandale egal

Die Wahrheit ist, das steht seit einigen Stunden fest: Rund die Hälfte der Amerikaner interessiert das nicht die Bohne. Es ist ihnen egal, dass ihr Staatsoberhaupt nicht einmal einen ernsthaften Versuch unternimmt, sein Handeln moralisch zu untermauern. Allgemeingültige Werte zu pflegen, die keine finanziellen sind. Auch nur im Ansatz wahrhaftig zu sein.

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Abtreibungsgegner wählen Trump, weil er sich gegen Abtreibungen positioniert. Fertig. Dass Trump Einwanderer-Kinder in Käfige sperren und sie ihren Eltern wegnehmen ließ: egal.

US-Wahl: Warum stimmen so viele Latinos für Trump?

Latinos in Florida rufen in die Kameras der Reporter, sie würden Trump wählen, weil er „für Kapitalismus und gegen Sozialismus“ sei. Dass er sich Plänen für eine bezahlbare Krankenversicherung für alle entgegenstellt, von der viele in ihrer eigenen Bevölkerungsgruppe profitieren würden? Egal. Dass gerechtere Bezahlung und Steuerbelastungen nichts mit einem Systemwechsel zu tun hätten, aber den vielen Latinos im Niedriglohnsektor helfen würden? Egal. Dass er selbst keine oder kaum Steuern zahlt? Egal!

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Viele Weiße deuten den Aufstand der Schwarzen gegen die systemimmanente Polizeigewalt zu einer Gefährdung ihrer gesellschaftlichen Position und Sicherheit um. Schwarze werden vor laufender Kamera von Männern in Polizeiuniform getötet? Tja, nicht schön… Aber diese Plünderungen: Dagegen muss doch mal jemand etwas tun!

Die USA brechen auseinander – doch die Demokraten finden keine Antwort 

Und der Präsident feuert Rassisten an und flirtet mit völlig durchgeknallten Verschwörungstheoretikern. Das Land bricht auseinander, der Klimawandel eskaliert, die Corona-Krise ebenso.

Es gibt kaum eine eindeutigere Ausgangslage, die stärker nach der Ablösung des Verantwortlichen verlangt, als die in den USA. Zumindest in einem Kontext, in dem staatliche Strukturen und Kontrollinstanzen noch funktionieren.

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Dass die Demokraten es dennoch nicht geschafft haben, all das in einen eindeutigen Erfolg für sich umzumünzen, ist verheerend.

Noch schlimmer ist allerdings die Erkenntnis, die dahinter steckt: Hinter der Wahl Donald Trumps 2016 steckte kein Missverständnis. Es war nicht der einmalige Impuls, „denen da oben“ einen Denkzettel zu verpassen. Zig Millionen Wähler haben jetzt offiziell bestätigt: Was der Mann sagt, was er tut: Es ist unterm Strich in unserem Sinn. Wir wollen mehr davon.

Ob Biden oder Trump: Uns erwartet ein amerikanischer Albtraum

Sollte es am Ende dieses langen Auszählungs-Krimis für Trump reichen, erwarten uns vier weitere Jahre mit einem dann vermutlich vollends entfesselten Präsidenten.

Sollte Biden ans Ruder kommen, erwartet ihn eine schier unvorstellbar große Herausforderung: Dieses verlorene Land zu einen, unter dem stetig weiter steigenden Druck der Umstände. Menschen zu erreichen, die so wenig mit einer rationalen und/oder empathischen Betrachtungsweise der Welt zu tun haben, wie die Injektion von Chlorbleiche als Therapie gegen Corona taugt. Und zusätzlich noch mit der Hypothek der jetzt frisch inszenierten Lüge von der „gestohlenen Wahl“ auf den Schultern.

Ein amerikanischer Alptraum.

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