Heute vor einem Jahr ging Corona los: „Niemand glaubte an Pandemie dieses Ausmaßes“
Stockdorf –
Läden dicht, Schulen geschlossen, Ausgangssperre: Als vor einem Jahr die ersten Fälle in Deutschland gemeldet wurden, lag das außerhalb jeder Vorstellung. Inzwischen hat Corona das Leben weltweit radikal verändert.
Mit ihren Laptops unter dem Arm und ein paar persönlichen Dingen verließen die Menschen frühmorgens eilig das Gebäude: Homeoffice. Die rund 1200 Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto in Stockdorf bei München folgten vor einem Jahr dem dringlichen Aufruf der Firmenleitung. Spätnachts am 27. Januar 2020 hatte das bayerische Gesundheitsministerium den bundesweit ersten Corona-Fall gemeldet – ein Webasto-Mitarbeiter, der sich bei einer Kollegin aus China angesteckt hatte. Dort wurde der erste Fall am 31. Dezember 2019 offiziell registriert.
Webasto Chef: „Wir benötigten schnell eine effektive Maßnahme“
Keine 48 Stunden später schloss das Unternehmen die Tore – um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, das noch nicht den wissenschaftlichen Namen Sars-CoV-2 trug. Die Rede war damals von einer neuartigen Lungenkrankheit – der Name Covid-19 kam später.
„Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine Empfehlungen von Behörden oder Wissenschaftlern. Wir haben die Lage in der Task Force diskutiert“, sagt Firmenchef Holger Engelmann im Rückblick. „Wir benötigten schnell eine effektive Maßnahme, und da habe ich gesagt: ,Das machen wir jetzt einfach, wir schließen ab.’“
Viele hielten das Vorgehen von Webasto für völlig übertrieben
Die Panik vor dem neuen Virus blieb zunächst lokal. Während in Stockdorf Menschen die Apotheken stürmten, wo Mund-Nasen-Schutz und Desinfektionsmittel binnen eines Tages ausverkauft waren, feierten andere in angesagten Skiorten oder anderswo wie eh und je.
Viele hielten das Vorgehen von Webasto und den Trubel um die ersten Corona-Fälle für völlig übertrieben. Die Leute benähmen sich, als sei die Pest ausgebrochen, schimpfte ein Hausarzt in Gauting damals.
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Seitdem haben sich weltweit etwa 100 Millionen Menschen infiziert. Mehr als zwei Millionen sind gestorben, deutschlandweit gibt es mehr als 50 000 Tote. Homeoffice ist weltweit vielerorts fast Normalität. In zahlreichen Ländern sind Schulen und Läden geschlossen. Es gibt Ausgangssperren und abgeriegelte Grenzen. Die Digitalisierung erfährt einen immensen Schub – und in nie gekanntem Rekordtempo sind Impfstoffe auf den Markt gekommen.
Das Rätsel um Geruch und Geschmack
Als vor einem Jahr die ersten Patienten aus Stockdorf in der München Klinik Schwabing eintrafen, sah es zunächst fast nach Routine aus. Schließlich sei man fast jedes Jahr mit neuen Infektionskrankheiten konfrontiert, etwa Sars, Mers, Ehec und Ebola, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der dortigen Klinik für Infektiologie, wo die ersten Corona-Patienten fast symptomfrei in Isolierzimmern landeten.
Vor allem verwunderten die Mediziner damals die Geschmacks- und Geruchsprobleme. „Wir hatten den Patienten Wunschkost offeriert. Und wir hatten ihnen dann auch ein gutes bayerisches Bier ins Zimmer gestellt. Aber es war so, dass sie sagten: Sie schmecken das gar nicht“, berichtet Wendtner. „Es gab einen Patienten, der hatte ständig Vanille im Raum gerochen, obwohl es gar nicht nach Vanille roch.“
Webasto stoppte Corona durch „Lockdown“
Der Ausbruch bei Webasto wurde bestaunt – ein spektakuläres Ereignis. Die Virologin Ulrike Protzer, die eine infizierte Familie eines Webasto-Kollegen in Traunstein mitbetreute, berichtet, die Patienten hätten vor Neugierigen geschützt werden müssen und seien bis in die Klinik verfolgt worden.
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Zwei Wochen blieb Webasto geschlossen. Mit diesem konsequenten „Lockdown“ stoppte das Unternehmen erfolgreich die weitere Ausbreitung des Virus. Bei 16 Webasto-Kollegen und Angehörigen wurde das Virus nachgewiesen. Kaum jemand rechnete damals damit, bald selbst von den Auswirkungen des Virus betroffen zu sein.
Die Ischgl-Welle machte die Gefährlichkeit von Covid-19 deutlich
Wendtners damalige Einschätzung zu den Patienten mit fast durchweg leichten Symptomen: sehr wahrscheinlich nicht schlimmer als die Influenza. Die Sicht habe sich geändert, als Patienten aus Ischgl kamen. „Mit der Ischgl-Welle haben wir gesehen, dass das hier doch ein anderes Infektionsgeschehen ist. Mit Webasto allein hätte niemand geglaubt, dass es eine dieses es geben wird, dass es solche Einschränkungen geben muss, um das Infektionsgeschehen zu kontrollieren.“
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Viele Patienten auch mit mildem Verlauf leiden lange – über Monate. Long Covid nennen manche das Phänomen. Das Virus greift neben der Lunge auch andere Organe und Nervenbahnen an. Manche erleiden Herzinfarkte, Schlaganfälle, Thrombosen oder Nierenversagen. Sehr viele sind lange nach der Genesung erschöpft und unkonzentriert. Und mancher Patient wird wohl nie wieder ganz gesund werden.
Heute sagt Wendtner: „Jeder, der Covid-19 durchgemacht hat, ist ein warnendes Beispiel für Impfgegner. (dpa)