„Es war wie ein Tsunami“: Wie Hamburger ihre Corona-Infektion erlebten
Stabsärztin Tanja Hoffmann (31) infizierte sich vermutlich in der Klinik.
Foto: Bundeswehr/Sandra Herholt/hfr
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Die Zahlen steigen, die Zahlen sinken – seit einem Jahr dominiert Corona unser Leben. Und doch ist das Virus für viele Menschen immer noch nicht greifbar. Für viele ist es bloß eine abstrakte Gefahr, über die man die unterschiedlichsten Dinge hört. Die MOPO hat mit Menschen gesprochen, die die Krankheit durchgemacht haben. Die flach im Bett oder im Koma lagen, die beatmet wurden und den drohenden Tod besiegten. Manche leiden noch immer unter Spätfolgen. Diese Hamburger geben der Krankheit ein Gesicht.
Ingenieur aus Stade: Die Ärzte hatten ihn schon aufgegeben
Carsten Mühlenkamp ist ein Überlebender. Das ist dem Ingenieur aus Stade anzumerken. Wenn er spricht, dann ist die Wertschätzung für das Leben aus seinen Sätzen immer wieder herauszuhören. „Ich bin gerade 55 geworden. Glücklicherweise“, sagt er zum Beispiel auf die Frage nach seinem Alter.
Dass er diesen Geburtstag erreichen würde – danach sah es lange Zeit nicht aus. Carsten Mühlenkamp hatte sich Anfang März beim Singen im Chor infiziert. So wie eine Reihe von anderen Sängern auch. Zuerst fühlte er sich nur schlapp. Erst als das Fieber auf 40,5 Grad stieg, machte er den Test. Ergebnis: positiv. Nur der Aufmerksamkeit seiner Frau, einer examinierten Krankenschwester, hat Mühlenkamp es zu verdanken, dass er schnell ins Krankenhaus kam.
„Meine Lippen wurden auf einmal blau, meine Finger weiß“, erinnert sich Mühlenkamp. Seine Frau wusste: Das sind Anzeichen für eine niedrige Sauerstoffsättigung. Mühlenkamp wurde mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus Stade gefahren. Dort endet seine Erinnerung. Mühlenkamp wurde ins künstliche Koma versetzt. Als sich sein Zustand weiter verschlechterte, wurde er mit einem Rettungseinsatz ins UKE nach Hamburg verlegt, wo er an die Beatmungsmaschinen angeschlossen wurde.
„Ich habe davon nichts mitbekommen. Als ich drei Wochen später aufwachte, wusste ich nicht, wo ich war. Es war wie ein Albtraum”, so der Ingenieur. „In der ersten Woche ist niemand davon ausgegangen, dass ich es schaffe.“ Nur langsam ging es bergauf. Mühlenkamp, der keine Vorerkrankungen hatte, nur etwas Übergewicht, verlor 30 Kilo. Seine Muskeln waren weg. Er musste das Laufen erst wieder lernen. Bis heute kann er kaum Treppen steigen, ist ständig müde und kann nicht mehr als sechs Stunden arbeiten.
„Ein Arzt hat mir gratuliert, dass ich überlebt habe. Aber er sagte auch, dass ich nie wieder der Alte werde“, sagt Mühlenkamp. Sein Blutdruck, sein Puls werden nie wieder wie früher sein. Im Oberschenkel und Po hat der 55-Jährige kein Gespür mehr. „Das ist keine Krankheit, die man mal durchmachen kann“, warnt Mühlenkamp. „Denn das kann fürchterlich in die Hose gehen. Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe.“
Weinhändlerin aus Ottensen: Drama auf der UKE-Krebsstation
Auch Babette Grosch hat die Infektion nur knapp überlebt. Die beliebte Weinhändlerin aus Ottensen lag mit Leukämie auf der Krebsstation des UKE, als es dort im April zur Katastrophe kam. Das Virus bahnte sich seinen Weg in die eigentlich abgeschottete Station. Durch eine Reinigungskraft, durch einen Pfleger, einen Arzt? Das weiß man bis heute nicht genau. Es ist auch nicht so wichtig. Schuld an der brutalen Bilanz des Ausbruchs ist allein Sars-CoV-2: 40 Mitarbeiter und 22 Patienten infizierten sich, elf starben.
„Es war wie ein Tsunami, als es losging“, sagt Babette Grosch. Bei ihr selbst sei es mit einem schweren Husten losgegangen. Dazu kam Atemnot. „Es ging mir richtig schlecht°, sagt die 65-Jährige. „Jedes Luftholen war eine Qual.“ Grosch wurde auf die Intensivstation verlegt. Dort bekam sie Sauerstoff in die Nase, auch ihr Blut wurde mit Sauerstoff angereichert. Das half. Um die Beatmungsmaschine kam sie herum.
Erst Wochen später konnte sie sich wieder dem Kampf gegen ihre eigentliche Krankheit widmen – dem Krebs. Bis kurz vor Weihnachten lag sie noch im UKE. Was sie dort erlebt hat, lässt sie vermutlich nie wieder los. „Besonders das mit Ines“, sagt sie leise. Ines. Das war eine junge Leidensgenossin auf der Station. Eine Studentin, 21 Jahre alt, mit der Babette Grosch immer Schach spielte. Sie ist gestorben. „Ich hab‘ Angst, dass ich sie angesteckt habe“, sagt Grosch. Sie fühlt sich schuldig. Und auch wenn sie es nicht ist. Das Überlebenstrauma bleibt.
Die Ärztin aus Wandsbek, die selbst krank wurde
Infektion auf Station – das gibt es auch in anderen Krankenhäusern. Tanja Hoffmann (31) ist Stabsärztin am Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek. Sie arbeitet auf der Covid-Station. Wie genau sie sich infiziert hat, das weiß sie nicht. „Wir arbeiten ja in voller Schutzkleidung“, sagt sie. Ihre sozialen Kontakte hatte sie im November schon fast komplett herunter gefahren. Ihr Lebensgefährte arbeitet im Homeoffice. Trotzdem fand das Virus seinen Weg.
Am 24. November entwickelte Tanja Hoffmann erste Symptome. „Es fühlte sich an wie eine Erkältung. Ich war schon überrascht, als der Corona-Test positiv ausfiel.“ In den folgenden Tagen wurden die Symptome stärker. Acht Tage lag Hoffmann zu Hause flach. „Ich war sehr erschöpft.“ Der Geschmacks- und Geruchssinn war eingeschränkt und ist es bis jetzt.
Hoffmann hatte das, was man einen „milden Verlauf“ nennt. Auf die leichte Schulter sollte man Corona deshalb trotzdem niemals nehmen, betont die Ärztin. „Ich sehe ja täglich, was hier bei uns auf der Station los ist. Die Zahlen steigen. Es gibt immer mehr Todesfälle. Wenn wir uns nicht an die Regeln halten, gehen die Zahlen nicht runter. Es hängt von uns ab! Die Maßnahmen, die die Politik vorgibt, sind wichtig.“
Seniorin aus Eimsbüttel: Die Beschwerden kamen erst später
Sonja Carhardt (74) ist gelernte Krankenschwester und arbeitet ehrenamtlich am Agaplesion Diakoniekrankenhaus in Eimsbüttel, wo sie sich als sogenannte „Grüne Dame“ um alte Menschen kümmert. Dort muss sie sich im März auch infiziert haben – wie weiß sie nicht. „Die alten Leute umarmen einen ja ganz gerne“, meint sie. Vielleicht kam es so. Vielleicht auch nicht.
Trotz ihres Alters erlebte die 74-Jährige einen milden Verlauf. „Ich hatte Husten, Halsschmerzen und ein bisschen Gliederschmerzen“, erzählt die rüstige Seniorin, die keinerlei Vorerkrankungen hatte. Erst viel später, Ende Juni, als die Infektion längst überwunden war, tauchten plötzlich Beschwerden auf. Carhardt fühlt sich ständig schlapp. Sie ist müde, hat oft Atemnot. „Und mein Geschmackssinn ist gestört. Eier zum Beispiel schmecken für mich nur noch furchtbar!“
Die Ärzte untersuchten die 74-Jährige, konnten aber nichts finden. „Ich kriege es schon ein bisschen mit der Angst, ob es jetzt doch noch nachträgliche Auswirkungen auf die Organe gibt“, sagt Carhardt. „Ich bin nicht mehr so fit wie früher.“ Wenn Carhardt von Menschen hört, die die Corona-Gefahr herunterspielen, wird sie ärgerlich. „Man sieht doch, wie viele Menschen daran sterben! Das müssen die Leugner doch mal begreifen. Wenn ich daran denke, dass die Angehörigen sich nicht mal von ihren Liebsten verabschieden können, macht mich das traurig.“
Pflegerin: Auch Wochen später sind die Test noch positiv
Alice K. wird Corona seit Wochen nicht los. Am 8. Dezember wurde sie zum ersten Mal positiv getestet. Infiziert hat sie sich wahrscheinlich beim Einkaufen. Doch auch nach drei Wochen gibt es noch keine Entwarnung. Alle Tests sind weiter im roten Bereich. Dennoch: Das Schlimmste hat die 63-Jährige hinter sich – die Lungenentzündung, die sie durch die Infektion entwickelte.
„Ich lag zu Hause mit 39 Fieber im Bett“, erzählt Alice K. Sie habe nichts essen können, nichts trinken und wurde immer schwächer. Als sie dachte, sie würde zusammenbrechen, rief sie den Notarzt. Der holte den Rettungswagen. Alice K. kam in die Schön-Klinik. Notaufnahme.
Die Entzündungswerte waren hoch, in der Lunge war Wasser. „Ich war wie zugeschnürt. Ich konnte nicht durchatmen“, sagt Alice K. Sie bekam Sauerstoff zur Unterstützung in die Nase zugeführt. Langsam stabilisierte sich ihr Zustand. Atembeschwerden und Schwäche verspürt sie weiter.
„Dass es immer noch Menschen gibt, die Corona nicht ernst nehmen, kann ich nicht verstehen“, sagt Alice K. Nicht nur wegen der Gefahr für einen selbst und seine Mitmenschen. Sondern auch wegen der Situation in den Krankenhäusern. „Ich habe die Anspannung dort sehr deutlich gespürt“, sagt die 63-Jährige, die selbst bei einem Pflegedienst arbeitet. „Das Klinik-Personal ist einem ständigen Risiko ausgesetzt. Es gibt dauernd Wechsel, weil sich jemand infiziert hat. Die Ärzte und Pfleger arbeiten am Limit!”
Demenz-Erscheinungen: Kapitän muss sich alles aufschreiben
Als ehemaliger Kapitän hat Horst R. schon so manchen Sturm durchstanden. Doch keine Turbulenzen haben ihn je so in Gefahr gebracht, wie das Corona-Virus. Drei Wochen lag der 67-Jährige im UKE, zwei Wochen davon auf der Intensivstation.
„Mein Leben hing am seidenen Faden“, sagt Horst R. „Die Ärzte sagten meiner Frau, sie seien nicht sicher, ob ich es schaffen würde.“ Problem: Rohde leidet an einer Lungen-Vorerkrankung. Das Coronavirus brachte ihn in akute Lebensgefahr.
Wie das Virus zu ihm kam, weiß der Rentner nicht genau. Vielleicht war es der Mann, der auf dem Rückflug von Mallorca Ende Februar neben ihm saß und stark hustete. Vielleicht war es auch der Besuch eines HSV-Handballspiels. In jedem Fall bekam Horst R. am 17. März ganz plötzlich keine Luft mehr. Sowohl der Notdienst als auch die Corona-Hotline waren zu diesem Zeitpunkt komplett überlastet. Da kam es dem Ex-Kapitän zugute, dass er schon seit Jahren Patient der UKE-Pneumologie ist und ein Anruf genügte, um die Aufnahme zu erwirken.
Wegen seiner Vorerkrankung konnte Horst R. nicht inturbiert werden. Seine Überlebenschance wäre nur 50 Prozent gewesen. Er schaffte es, wenn auch nur knapp, mit einer nichtinvasiven Beatmung durch die Nase. „Die Zeit auf der Intensivstation war hart. Aber die Versorgung durch die Pfleger war sehr gut – sowohl fachlich als auch menschlich.“
Wie viele andere Patienten auch, leidet Horst R. bis heute unter Atembeschwerden. Das Laufen musste er erst wieder lernen. Langsam und beschwerlich. Was ihm am meisten zu schaffen macht, ist aber sein „Kopp“.
„Ich habe Demenz-Erscheinungen“, sagt der 67-Jährige betrübt. Sein Kurzzeitgedächtnis sei deutlich eingeschränkt. Er vergesse viel. „Ich muss mir alles aufschreiben“, sagt Horst R. In der Reha in Heiligendamm sei er mehreren Patienten begegnet, denen es genauso ging. Mittlerweile gibt es Studien zu dieser Spätfolge. Horst R.: „Man wird als gesund aus dem Krankenhaus entlassen. Aber man ist noch lange nicht genesen.“
Hamburgs erster Abgeordneter mit Corona
Der CDU-Abgeordnete David Erkalp war der erste Politiker in Hamburg, der an Covid 19 erkrankte. Der 46-Jährige gibt zu, dass die Erfahrung seine Einstellung gegenüber dem Virus komplett verändert hat. „Vor diesem 24. Oktober, an dem ich positiv getestet wurde, war Corona irgendwie weit weg. Ich kannte niemanden, der es hatte. Dann kam die Riesenwelle“, erzählt David Erkalp. Erst erkrankte er selbst. Dann erwischte es seinen Freundeskreis.
Während der Politiker selbst eher milde Symptome hatte, traf es seine Freunde schwer. „Ich habe miterlebt, wie die Familien nicht zu dem Kranken in die Klinik durften. Wie die Kinder bangten, ob ihre Väter überleben würden. Corona ist eine grausame Krankheit“, sagt der CDU-Mann aus Mitte.
Er leidet noch immer an den Spätfolgen. „Ich kann nichts riechen!“, erzählt Erkalp. Das habe ihm nicht nur das Weihnachtsfest verdorben, wo der gebürtige Aramäer das Festessen nicht genießen konnte. Auch im Alltag stört es den 46-Jährigen schrecklich. „Ich bin ein eher penibler Mensch, der viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung legt“, gesteht Erkalp. Dass er nicht mal seine eigenen Körpergerüche wahrnehmen könne und seine Familie fragen muss, ob er rieche, sei eine Belastung für ihn. „Nach Corona sinkt die Lebensqualität. Das ist bitter“, sagt Erkalp.
Stewardess: „Das Leben hat sich komplett verändert“
Wenn Laura Steffens sich daran erinnert, wie sie sich angesteckt hat, dann spricht sie vom „Tatabend“. Die Flugbegleiterin aus Eppendorf war gerade aus Washington gelandet. Für den Abend hatten sie und ihr Partner drei Freunde zum Essen eingeladen. Das war am 12. März.
Was niemand ahnte: Einer der Anwesenden trug das Virus bereits in sich – und wurde, ohne es zu wissen, zum Superspreader. Der Freund hatte sich bei einem Kollegen angesteckt, der zum Skifahren in Ischgl war. An diesem Abend bei Laura Steffens steckten sich alle Anwesenden ohne Ausnahme an. Den Superspreader traf es am härtesten.
„Ich hatte das, was man einen milden Verlauf nennt“, sagt Laura Steffens. Dennoch seien die Gliederschmerzen heftig gewesen. „Ich war wie erschlagen“, sagt die 38-Jährige. Zur Atemnot kamen später Geschmacks- und Geruchsirritationen. „Ich habe mein Parfum nicht mehr gerochen. Den Unterschied zwischen einer Zwiebel und einer Grapefruit habe ich nicht geschmeckt.“ Diese Sinnesverluste hätten auch hinterher noch lange angehalten. „Bei meinem Freund ist es bis heute nicht normal. Nach zehn Monaten!“
Corona in Hamburg: Alle Informationen im Ticker
Seit Beginn der Pandemie sind Laura Steffens und ihr Freund, ein Pilot, in Kurzarbeit. Das Leben ohne Beschäftigung setzt ihnen schwer zu. „Man weiß gar nicht, wie es weitergeht“, sagt Steffens. Die Unsicherheit, die Nichtplanbarkeit führen zu Zukunftsängsten. Oft ist Laura Steffens mutlos: „Das Leben hat sich komplett verändert.“