• Der Hauptsitz der Mainzer Firma Biontech
  • Foto: imago images/U. J. Alexander

Impfstoff-Patente: Sind bei Biontech Gewinne wichtiger als Pandemie-Bekämpfung?

Mainz –

Ihr Impfstoff rettet Leben – und dafür werden sie zurecht gefeiert: die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin. Aber: Gleichzeitig machen die beiden Forschenden klar, dass sie wenig bereit sind, ihre Erkenntnisse zu teilen. Etwa, indem sie Lizenzen zur Impfstoffproduktion für Länder im globalen Süden freigeben. Kritiker wittern dahinter schnödes Gewinnstreben und warnen: Das könnte für alle auf der Welt gefährlich werden.

An der Goldgrube 12 – so lautet die Adresse des Mainzer Unternehmens Biontech. Wirklich, kein Witz. Schon vor einem Jahr sorgte das für diverse Kalauer auf Twitter & Co., als die Firma wegen ihres im Eiltempo entwickelten Corona-Impfstoffs bekannter wurde.

Biontech-Gründer: Top-Wissenschaftler und PR-Profis

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Die Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci

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picture alliance/dpa/dpa-Pool

Die verheirateten Gründer, Özlem Türeci (54) und Uğur Şahin (55), scheinen derweil nicht nur Top-Wissenschaftler zu sein, sondern auch erfolgreiche Unternehmer – und verstehen offenbar, wie man gute Öffentlichkeitsarbeit macht. Zumindest schien die Choreographie der Firmen-Verlautbarungen der vergangenen Woche eher geplant als zufällig.

Letzten Mittwoch betonte Şahin erneut: Auf Patente werde er nicht verzichten! Anderntags verkündete Biontech, dass man bis zum Sommer die Zwölf- bis 15-Jährigen werde impfen können. In den Medien überwog die Erfolgsmeldung: Bald können die Kinder geimpft werden – auch die MOPO berichtete so.

Es gab eine Zeit vor dem Patent-Monopol

Über die Patente wurde dagegen kaum gesprochen. Was hat es damit überhaupt auf sich? Bis in die 1940er Jahre war üblich: Staaten finanzieren medizinische Forschung, Pharmafirmen produzieren und verkaufen die entwickelten Mittel. Das Patentmonopol aber, das seither gilt, lässt die Firmen auch selbst forschen. Staatliche und private Geldgeber investieren, gerade letztere in der Hoffnung auf satte Gewinne. Die Patente gehören dann den Firmen, nicht der Öffentlichkeit.

Seit vergangenem Sommer gibt es immer wieder Vorstöße, diese Regelung in Pandemie-Zeiten aufzuweichen. Indien und Südafrika etwa forderten dies von der Welthandelsorganisation. Denn nur so könnten auch ärmere Länder an Impfstoff gelangen. Aber: Die reichen Staaten des Nordens stellten sich quer. Die aktuelle Verteilung spricht Bände: In den USA sind schon gut 40 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. In der EU rund 24 Prozent. Auf dem afrikanischen Kontinent: zwei Prozent.

Wem wäre geholfen, wenn am Ende alle zu wenig Impfstoff haben?

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde hierzulande teils heftig kritisiert, weil sie Impfstoff zumindest auf EU-Ebene solidarisch verteilen wollte. Und die Frage ist natürlich berechtigt, wem geholfen wäre, wenn der anfangs knapp vorhandene Impfstoff weltweit verschickt worden und überall nur kleckerweise Dosen eingetroffen wären. Dass Regierungen sich vor allem um ihre eigene Bevölkerung kümmern wollen, kann man kaum kritisieren.

Experten aber warnen: Die Mutationen, die weltweit durch fehlende Impfungen entstehen, könnten die Pandemie in die Länge ziehen. Und irgendwann könne eine Variante entstehen, die gegen Vakzine resistent ist. Kanzleramtschef und Mediziner Helge Braun warnte kürzlich: „Dann stünden wir wieder mit leeren Händen da.“ Fehlender Impfstoff im globalen Süden könnte zum Bumerang werden.

Linke fordert: Lizenzen freigeben!

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Linken-Chefin Janine Wissler

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Vor diesem Hintergrund fordert etwa die Linke schon länger, Lizenzen freizugeben. Auch, um in Deutschland selbst schneller mit dem Impfen voranzukommen. „Unsere Gesundheit darf nicht weiter hinter dem Profitstreben der Pharmaunternehmen zurückstehen“, so Linken-Chefin Janine Wissler. Zudem verwies sie darauf, dass die Firmen „auch schon für die Erforschung ihrer Impfstoffe reichlich finanzielle Unterstützung bekommen“ hätten – Biontech etwa rund 375 Millionen Euro vom Staat. Aber: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sperrte sich stets gegen solche Vorschläge, obwohl sie gesetzlich möglich wären.

Selbst FDP-Chef Christian Lindner hat bereits angeregt, über Lizenzen nachzudenken. Die linke Idee von Zwangs-Lizenzvergaben nannte er zwar eine „Enteignung geistigen Eigentums“ und einen „absurden Vorschlag“. Aber: Auch er plädierte für eine „Krisenproduktion“, bei der die Pharmafirmen Lizenzen vergeben könnten, die dann von den produzierenden Firmen bezahlt würden.

Vorgeschobene Gründe von Biontech & Co.?

Aber warum sperrt sich Biontech? Kritiker werfen dem Unternehmen vor, vor allem seine Gewinne schützen zu wollen, denn Impfstoffe sind ein begehrtes Gut. Offiziell lehnt Biontech eine Herausgabe der Patente ab, da das „keine Lösung“ sei, um die Impfstoffproduktion zu erhöhen. Zu schwierig sei die Herstellung, Produktionsstätten müssten erst aufgebaut werden. Allerdings: „Für kompetente Hersteller“ könne man möglicherweise doch  „spezielle Lizenzen“ vergeben, so Şahin letzten Mittwoch. Das stelle die Qualität der Vakzine sicher. Und impfresistente Mutanten? Werde es gegen den Biontech-Stoff seines Erachtens eh nicht geben.

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Allerdings gab er zu: Der Rest der Welt müsse auch versorgt werden. Gestern erhielt Südafrika die erste Lieferung Biontech. Bis Ende Juni sollen es 4,5 Millionen Dosen werden. Schätzungen zufolge könnte es bis Ende 2022 dauern, bis auch der globale Süden ausreichend mit Impfstoffen versorgt wäre. Wie dieser Prozess beschleunigt werden soll? Eine wirklich Erklärung lieferte Şahin nicht.

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