Rechtsradikale bei Polizei: NRW-Innenminister: Das Ausmaß ist nicht absehbar
Düsseldorf –
Fünf rechtsradikale Chat-Gruppen in Nordrhein-Westfalens Polizei, 29 suspendierte Beamte, offenbar zutiefst antidemokratische und menschenverachtende Bilder und Inhalte: Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) konnte sich das alles zunächst kaum vorstellen. Jetzt findet er deutliche Worte und gibt zu: Das Ausmaß der Strukturen sei noch nicht absehbar. Und er sagt: Die Kader-Mentalität muss aufhören! Wer Vergehen nicht melde, mache sich selbst strafbar.
Von „Einzelfällen“ zu sprechen, wäre mittlerweile wirklich absurd. Findet sogar CDU-Innenexperte Armin Schuster. Rechtsradikale Drohbriefe des „NSU 2.0“ von Polizeicomputern gesendet, ein Beamter als Unterstützer der rechtsextremen „Gruppe S“, die 2017 aufgeflogene Gruppe „Nordkreuz“, in der rechtsradikale Polizisten und Bundeswehr-Soldaten Munition und Waffen horteten und jetzt der aktuelle Fall: Das alles spricht eben eine deutliche Sprache. Dennoch betont Schuster: „Aber ich sehe auch noch nicht Strukturen über ganz Deutschland, Netzwerke über ganz Deutschland, die gezielt zusammenarbeiten.“
Hitler-Bilder und ein Geflüchteter in der Gaskammer: „widerwärtig“
Auch NRW-Innenminister Reul sieht einerseits die Probleme und versucht doch auch, die Stimmung gegen die Polizei nicht überschwappen zu lassen. So berichtete er von Bildern von Adolf Hitler in den aufgedeckten Chat-Gruppen und von einer Darstellung eines Geflüchteten in der Gaskammer. „Widerwärtig“ nannte er die Auswüchse.
Und doch beschwichtigte er auch: „Ich bin kein Prophet, kein Kaffeesatzleser im Gegensatz zu manchen, der immer alles schon weiß. Ich fange jetzt einfach systematisch an“, sagte Reul im WDR2 auf die Frage, was nach der Entdeckung der Chatgruppen, der Beschlagnahme von Handys und Durchsuchungen noch herauskomme. Ermitteln, aufklären, bestrafen, laute die Devise. Neben den Polizeichefs und den Landräten wolle er auch die untere und mittlere Führungsebene der NRW-Polizei stärker in die Pflicht nehmen.
Innenminister: „Solche Fälle zu melden ist eure Pflicht“
Zur Frage, warum die Chatgruppen nicht früher in den Dienststellen aufgefallen seien, sagte Reul im WDR2, er habe derzeit keine richtige Erklärung dafür. „Ich glaube, dass zu oft noch Polizisten meinen, sie müssten durch Kameradschaft alles decken.“ Wer das mache, wer schweige, müsse aus dem Polizeidienst raus. Reul appellierte, rechtsextreme Chats zu melden: „Ja, ihr müsst zusammenhalten, ihr müsst euch aufeinander verlassen in Notlagen. Aber umgekehrt, ihr habt alle einen Eid geschworen, euch an die Gesetze und an die Verfassung zu halten. Und wenn ein Kollege das nicht macht, müsst ihr das melden, das ist genauso eure Pflicht.“
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Der Kriminologe Prof. Tobias Singelnstein fordert anonyme Meldeverfahren für interne Missstände bei der Polizei. „Man kann sich ja nicht vorstellen, dass so ein Netzwerk innerhalb der Polizei niemandem aufgefallen ist“, sagte er der dpa. „Aber wenn einer etwas bemerkt, gilt bisher in der Regel der offizielle Dienstweg. Zugleich wird das ,Anschwärzen‘ von Kollegen in der Polizei nach wie vor nicht goutiert.“ Anonyme Whistleblower-Kommunikationsangebote gebe es bei der Polizei nur in zarten Anfängen, sagte der Bochumer Experte. Das müsse sich nun ändern. (km/dpa)