Das ewige Leiden im Volkspark: Video-Folter nach HSV-Pleite in Heidenheim
Man kennt das ja schon alles. Sobald das Hochgefühl des Erfolgs beim HSV so richtig um sich greift, naht der Absturz. Mit aller Brutalität. Und natürlich sind sie vom ganz bitteren Ende noch ein gutes Stück entfernt, dafür ist die Saison zu jung und Rang zwei in der Tabelle trotz vier Partien in Folge ohne Sieg eine gute Platzierung. Doch die Stimmung rund um den Verein könnte nach dem 2:3 in Heidenheim und vorm Krisen-Derby gegen Hannover kaum schlechter sein.
Geht es jetzt schon wieder los? Bekommt der HSV erneut die Flatter? So in etwa lauteten vor Wochenfrist die Fragen, die sich nach dem 1:3 gegen Bochum stellten. Eine Pleite später sind sie zumindest klarer zu beantworten. Ja, es geht wieder los. Und ja, die HSV-Profis bekommen augenscheinlich die Flatter. Die neue Frage, die sich stellt: Können die Verantwortlichen in dieser Saison noch korrigierend eingreifen, bevor es wieder zu spät ist?
HSV-Sportdirektor verpasste Heidenheims Siegtor
Michael Mutzel ist insofern ein glücklicher Mann, als dass er die Krönung allen Unheils in Heidenheim gar nicht verfolgen musste. Als Keeper Sven Ulreich in der Schlussminute folgenschwer patzte, waren die Augen des Sportdirektors schon in Richtung Heidenheimer Strafraum unterwegs. „Ich bin ganz ehrlich, ich habe eher auf die vordere Linie geguckt, weil ich von einem langen Ball ausgegangen bin“, erklärte er am Tage danach. „Ich habe dann nach hinten geguckt, da lag der Ball schon im Netz.“
So schnell geht das manchmal beim HSV. Und schon ist es wieder da, das ewige Leiden im Volkspark. Wie seit Jahren. Erst nicht enden wollende Abstiegskämpfe, schließlich 2018 der Absturz in Liga zwei, gefolgt von zwei weiterhin kaum erklärbaren verspielten Aufstiegen. Nun erneut eine auf wesentlichen Positionen veränderte Mannschaft – aber alte Sorgen.
HSV-Trainer Thioune zeigt seinen Profis die Fehler auf
Woran liegt es? Gibt es tatsächlich ein rätselhaftes HSV-Virus, das jeden befällt, der das Trikot mit der Raute trägt?
Sie scheinen zumindest erkannt zu haben, wo sie ansetzen müssen. Bereits am Montag servierte Trainer Daniel Thioune seinen Profis Video-Sequenzen, die richtig weh taten. Und von denen es in Heidenheim zahlreiche gab. Schnipsel, in denen zu sehen war, wie sorglos und überheblich der HSV nach seiner 2:0-Führung agierte. „Bis dahin haben wir sensationell gut Fußball gespielt“, erkannte Mutzel. Zumindest richtig gut. Aber dann …
Viele HSV-Profis patzten in Heidenheim
Zunächst verlor der HSV die Konzentration und verteidigte sorglos. Dann kamen die Nerven dazu. Ein schlimmer Mix, der so viele Gesichter trug. Amadou Onanas Lässigkeit. Sonny Kittels aufreizend brotloser Auftritt. Khaled Nareys technische Schwächen. Jan Gyamerahs Unaufmerksamkeiten. Jeremy Dudziaks Versteckspiel. Ulreichs fatale Entscheidung am Ende. Und, und, und.
Die Quintessenz daraus: Wenn der HSV meint, die Dinge vor allem fußballerisch lösen zu können und die Profis im Gefühl ihrer Überlegenheit nur ein paar Prozent Willensstärke einbüßen, geht der Schuss nach hinten los. Wie in Heidenheim. Oder sogar schon beim 1:1 in Kiel, als es ähnliche Tendenzen gab.
So will der HSV jetzt die Kurve kriegen
Mutzel und Thioune wissen das. Der Sportdirektor war am Montag versucht, nicht zu sehr auf seine Profis einzudreschen. Bei genauerer Nachfrage aber redete er dann doch Tacheles. „Man hat im ersten Viertel der Saison gesehen, dass wir fußballerisch top sind – wenn man uns lässt und wir einen guten Tag haben“, so der 41-Jährige. „Aber Dinge wie Standards verteidigen, den Ball, der knapp ins Aus geht, noch zu holen und mal mehr zu machen. Wenn uns das fehlt, wird es in dieser Liga gegen jeden Gegner schwer. Das war so und das ist immer noch so.“ Was ihm Sorge macht: „Den Grund weiß ich nicht, aber es war auffällig, dass wir nach dem ersten Gegentor unsere Mitte verloren haben und aus unseren guten Abläufen rausgekommen sind.“
Kleine Nackenschläge sind es, die dem HSV momentan das Genick brechen. Ein schleichender Tod, so war es in Heidenheim. Und eine verdammt gefährliche Spirale. Denn bei zahlreichen Profis sind die Erinnerungen an den verspielten Aufstieg der Vorsaison wieder präsent. Die Leistung auf der Ostalb dient als Bestätigung dieser Behauptung.
Nächster HSV-Gegner Hannover steckt in tiefer Krise
Und nun? Neues Spiel, neues Glück. Am Samstag kommt Hannover. Ebenfalls im Krisen-Modus unterwegs, noch viel schlimmer als der HSV. Die Tage von Trainer Kenan Kocak scheinen schon gezählt zu sein, so wird es im Umfeld der Niedersachsen behauptet. Der verunsicherte HSV dürfte also auf einen zumindest gleichfalls zerzausten Gegner treffen. Aber hilft das, angesichts der eigenen Sorgen?
Thioune, der aus seiner Zeit in Osnabrück weiß, dass Maloche vor schönem Fußball steht, wird in dieser Woche alles versuchen, die Sinne seiner Profis zu schärfen. Oder wie Mutzel es sagt: „Wir werden genau hinsehen, wer im Training den Schritt mehr macht und wer weniger.“ Klingt so fürchterlich abgedroschen, ist auf den HSV bezogen aber die Wahrheit: Fußball allein wird auch in dieser Saison nicht reichen. Noch haben die Profis Zeit, das zu begreifen.
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