MOPO-Interview: Wie werden die Hamburger in diesem Jahr Weihnachten feiern können?
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist sichtlich mitgenommen, als die MOPO ihn im Rathaus zum Interview trifft. Seine Miene: sorgenvoll. Zuletzt hatte Hamburgs Erster Bürgermeister viel Kritik an der Corona-Strategie der Stadt einstecken müssen – auch aus den eigenen Reihen im Senat. Im Interview erklärt er, was jetzt auf uns zukommt.
Herr Tschentscher, wir stecken mitten im „Lockdown Light“, persönliche Kontakte sind stark eingeschränkt. Wie werden die Hamburger in diesem Jahr Weihnachten feiern?
Peter Tschentscher: Sicher nicht wie sonst – aber hoffentlich dennoch auf festliche Art und Weise. Wir werden wahrscheinlich auch Ende Dezember noch generelle Beschränkungen haben. Alles hängt davon ab, wie gut es uns jetzt gelingt, die Infektionsdynamik zu bremsen.
Schauen wir mal auf die aktuellen Regeln: Da gab’s zuletzt ja ordentlich Kritik – ob nun aus dem Kulturbereich oder der Gastronomie …
Es geht darum, dass wir die Infektionsdynamik stark abbremsen, dabei aber Kitas und Schulen offenhalten und die Wirtschaft nicht weiter schädigen. Dafür müssen wir alle weiteren Kontakte so weit wie möglich vermeiden.
Selbst Ihr eigener Kultursenator Carsten Brosda (SPD) war sauer. Friseure geöffnet, Nagelstudios zu, Gottesdienste erlaubt, Kino verboten – wie sollen die Menschen das noch verstehen?
Herr Brosda hat diese Entscheidung mit getroffen und steht wie alle anderen Senatsmitglieder zur Notwendigkeit der Maßnahmen. Ein Friseur-Besuch gehört in den Bereich der Körperpflege und ist insofern nicht vermeidbar. Der Besuch eines Tattoo-Studios hingegen schon.
Ist Religion wichtiger als Kultur?
Man kann das nicht gegeneinander aufrechnen. Es geht darum, unsere Kontakte in allen Lebensbereichen auf ein Minimum zu reduzieren. Die Religionsausübung hat dabei einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz.
Viele Kulturschaffende fühlen sich im Stich gelassen …
Die wirtschaftlichen Hilfen des Bundes richten sich gezielt auch an die Betroffenen im Bereich der Kultur und der Veranstaltungswirtschaft. Ohne die beschlossenen Einschränkungen bekommen wir ein ernstes Problem. Jeden Tag steigt die Zahl der Krankenhaus- und Intensivpatienten. Eine Überlastung des Gesundheitswesens müssen wir zum Schutz unser aller Leben und Gesundheit unbedingt verhindern.
Große Skeptiker gibt es auch unter den Gastronomen der Stadt, die auf ihre mühsam ausgearbeiteten Hygienekonzepte verweisen.
Das verstehe ich. Aber selbst bei einem optimalen Hygienekonzept führt jedes Zusammentreffen von Personen aus verschiedenen Haushalten zu einem zusätzlichen Infektionsrisiko. Für den November erhält jeder Gastronomiebetrieb 75 Prozent seiner Umsätze aus dem Vorjahresmonat, damit er durch die aktuellen Maßnahmen keinen weiteren wirtschaftlichen Schaden erleidet. Und ich möchte noch einmal betonen: Wir tun das alles, um unsere Gesundheit zu schützen und eine Überlastung der Krankenhäuser abzuwenden.
Der Direktor der Intensivmedizin am UKE, Stefan Kluge, gibt sich dennoch besorgt. Schon bald werde die Zahl der Krankenhauspatienten die erste Welle übertreffen. Sorgt Sie das auch?
Ja, auf jeden Fall. Genau deshalb haben die Landesregierungen und der Bund gemeinsam entschieden, dass wir jetzt das Infektionsgeschehen stark abbremsen müssen.
Sie sind im engen Austausch mit den Hamburger Kliniken. Wie ist dort die aktuelle Lage?
Sie wird schwieriger. Schon im Frühjahr haben wir erlebt, dass unsere Intensivkapazitäten begrenzt sind und deshalb planbare Eingriffe verschoben wurden. Das ist in den Kliniken letztlich auch eine Frage des Personals. Wir müssen an die Belastung und Gesundheit der Beschäftigten denken.
Sie sind selbst Mediziner. Wann gibt es endlich einen Impfstoff?
Die Berichte aus der Impfstoffentwicklung sind ermutigend. Es gibt eine Reihe an Wirkstoffen, die bereits in der klinischen Prüfung sind. Das ist mehr als man im Frühjahr erwarten konnte. Bis tatsächlich ein Impfstoff zur Verfügung steht und eine ausreichende Zahl an Personen geimpft ist, müssen wir aber noch eine längere Zeit mit dem Virus leben.
Also geht es in Wellen immer so weiter?
Die zweite Welle ist entstanden, weil sich das Leben im Herbst aufgrund kälterer Temperaturen wieder stärker in die Innenräume verlagert hat. Durch Enge und schlechtere Belüftung steigt damit das Infektionsrisiko. Wir müssen jetzt für die kalte Jahreszeit ein Niveau an Neuninfektionen erreichen, mit dem wir in der Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter zurechtkommen. Auf dem Niveau können wir dann bis in das Frühjahr weiterarbeiten, wenn es wieder günstigere Witterungsbedingungen und hoffentlich einen Impfstoff gibt.
Auch an der Strategie für die Schulen gibt es massive Kritik – insbesondere von Elternvertretern. Erstmals seit Ende der Herbstferien wurde in einer Hamburger Schule auch wieder ein größerer Corona-Ausbruch verzeichnet. Ab welchem Punkt sagen Sie: „Jetzt geht es nicht mehr, wir müssen die Schulen wieder zumachen?“
Wenn das Infektionsgeschehen in den kommenden Wochen nicht zurückgeht, ist das die letzte Konsequenz. Aber wir müssen die aktuellen Maßnahmen jetzt wirken lassen und die Lage dann bewerten. Bildung und Betreuung haben eine hohe Priorität, denn sie sind wichtig, damit Kinder und Jugendliche sich gut entwickeln können.
Dennoch: Warum kamen Maßnahmen wie die Maskenpflicht nicht früher und warum teilt man die Klassen nicht?
Wir haben viele Schutzmaßnahmen an den Schulen getroffen, die eine Fortführung des Unterrichts ermöglichen. Dazu gehört jetzt auch eine Maskenpflicht ab Klasse fünf, die wir früher eingeführt haben als viele andere Bundesländer. Eine Teilung von Klassen führt sofort zu einem großen Unterrichtsausfall, denn die Zahl an Lehrern und Räumen ist begrenzt und die Kinder und Jugendlichen müssten dann zu Hause lernen. Damit würde sich die Lage der Familien – wie im Frühjahr – wieder sehr verschlechtern.
Zuletzt wurde in Hamburg an 15 weiteren öffentlichen Orten in der Stadt eine Maskenpflicht eingeführt. Viele Bürger blicken da nicht mehr durch. Warum gibt es nicht einfach eine generelle Maskenpflicht?
Weil jede Maßnahme, die wir als Verpflichtung vorschreiben, begründet und verhältnismäßig sein muss, damit sie vor Gericht Bestand hat. Alle Bürgerinnen und Bürger sind aber aufgefordert, aus eigener Verantwortung eine Maske aufzusetzen, wenn es irgendwo im öffentlichen Raum zu eng wird.
Was passiert denn, wenn die Maßnahmen jetzt nicht wirken, der Lockdown Light nicht reicht?
Die Maßnahmen wirken. Die Frage ist, ob sie ausreichen, die Infektionszahlen deutlich zu senken und wieder in eine stabile Lage zu kommen. Das können wir erst in zwei bis drei Wochen beurteilen.
Haben Sie noch drastischere Maßnahmen in der Schublade?
Es gibt keine Geheimpläne, alle kennen die Lage, die wir im Frühjahr hatten. Einen Lockdown wie er derzeit in vielen anderen europäischen Ländern nötig ist, wollen wir in Deutschland unbedingt vermeiden.