Sechs Monate Corona: Hamburger Arzt zieht Zwischenbilanz
Hygieneregeln, Abstand, Maske: Jüngere Hamburger können die Ermahnungen oft nicht mehr hören. Es werde doch kaum jemand wirklich krank. Ein leitender Intensivmediziner erklärt, welche Lehren wir aus einem halben Jahr Corona-Pandemie ziehen sollten – und mahnt.
Seit einem halben Jahr ist Hamburg von der Corona-Pandemie betroffen. Die Stadt ist nach Einschätzung des Leiters der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Stefan Kluge (52), wie die benachbarten Bundesländer bislang glimpflich davongekommen. „Wir waren einfach gut vorbereitet, so dass wir in Deutschland keine starke Übersterblichkeit hatten“, sagt Kluge.
Corona-Virus in Hamburg: 232 Patienten gestorben
Das heißt, es sind in Hamburg zwar 232 Menschen an Covid-19 gestorben, mehr als 9200 in ganz Deutschland, es gab aber insgesamt nur etwas mehr Tote als in anderen Jahren – im Unterschied zu Italien, England und den USA.
Am 27. Februar war ein erster Fall eines Infizierten in Hamburg bestätigt worden: Ein Arzt an der Kinderklinik am UKE hatte sich bei einer Reise in die norditalienische Region Trentino infiziert. Der 1955 geborene Mediziner musste an seinem Wohnort Henstedt-Ulzburg (Kreis Segeberg) in Quarantäne gehen. Dann ergaben sich neue Fälle, deren Zahl besonders nach den Hamburger Skiferien im März zunahm. Knapp einen Monat nach dem ersten Fall verzeichneten die Gesundheitsämter den Höhepunkt der Neuinfektionen.
Hamburger Krankenhäuser im April besonders gefordert
248 Fälle meldete die Gesundheitsbehörde für den 24. März. Auf denselben Tag datierte das Institut für Rechtsmedizin den ersten Todesfall. Wieder einen Monat später kam der Tag mit den meisten Opfern. Am 25. April starben in Hamburg 15 Patienten an Covid-19.
Inzwischen gibt es nur noch selten Todesopfer. Zuletzt starb jeweils ein Erkrankter am 27. Juni, am 30. Juli und am 20. August. Die Hamburger Krankenhäuser waren am 14. April am stärksten gefordert.
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Damals lagen nach Angaben der Gesundheitsbehörde 311 Corona-Patienten in den Kliniken, davon 100 auf Intensivstationen. Zurzeit werden nur etwa 20 Menschen wegen Covid-19 in den Krankenhäusern behandelt.
Corona: Mehr Neuinfektionen in den Sommerferien
Mit den Sommerferien ist die Zahl der Neuinfektionen gestiegen, aber nicht die Zahl der Klinikpatienten oder der Todesfälle. Warum ist das so? „Der Altersdurchschnitt der Infizierten geht runter, und die Jüngeren haben ein geringeres Risiko zu erkranken, schwer zu erkranken und zu versterben“, sagt Kluge. Der Facharzt für Innere Medizin und Lungenheilkunde verweist auf die Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI), wonach das Durchschnittsalter der Infizierten von 52 Jahren auf 32 gesunken ist.
„Die typischen Mallorca-Urlauber am Ballermann sind alle unter 30, und die sterben zum Glück extrem selten.“ Das Durchschnittsalter der Verstorbenen in Deutschland liegt nach Angaben des RKI bei 81 Jahren.
Junge Menschen genervt von Corona-Regeln
Der Klinikdirektor sieht noch einen weiteren Grund für die positive Entwicklung: „Die ältere Bevölkerung ist sehr vorsichtig.“ Während die Jüngeren sich schon wieder mit Handschlag und Umarmung begrüßten, überlegten es sich die Älteren dreimal, ob sie zum Arzt oder in einen Supermarkt gingen. „Ich kann mir schon vorstellen, dass man als junger, gesunder Mensch sagt: Was soll das alles? Die Maßnahmen waren völlig übertrieben“, sagt Kluge. Doch wer einen Angehörigen verloren oder Langzeitfolgen habe, sehe das ganz anders. In Deutschland seien auch junge Menschen an Covid-19 gestorben.
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Mit den Hygieneregeln, dem Abstandsgebot und der Maskenpflicht habe Deutschland die richtigen Maßnahmen getroffen. Das Besondere am Sars-CoV-2-Errerger sei, dass Menschen ohne Anzeichen von Krankheit ansteckend sein könnten. Darum sei es auch sehr sinnvoll, großzügig zu testen. Während in Hamburg Ende März nur rund 3400 Menschen pro Tag auf das Virus untersucht wurden, waren es Mitte August laut Gesundheitsbehörde 9500.
Corona: Zwei Medikamente sind vielversprechend
„Wir haben extrem viel gelernt“, sagt Kluge mit Blick auf die Behandlung von Covid-19-Patienten. Erkrankte, die eine Lungenentzündung entwickelten, verblieben meist längere Zeit auf der Intensivstation. Zwei Drittel von ihnen müssten beatmet werden, meist zwei bis drei Wochen lang. Als wirksam hätten sich zwei Medikamente erwiesen, erklärt Kluge. In der Frühphase mildere das eigentlich gegen Ebola entwickelte Remdesivir die Symptome bei Krankenhauspatienten. In der Spätphase verbessere das Cortison-Präparat Dexamethason die Überlebenschance von beatmeten Patienten deutlich. Das habe eine britische Studie ergeben.
Die Obduktionen im Institut für Rechtsmedizin hätten zudem gezeigt, dass Patienten auch an einer Lungenembolie gestorben seien. Darum sei wahrscheinlich die Verabreichung eines Blutverdünners hilfreich, sagt Kluge. Das werde gerade am UKE erforscht.
Corona: UKE in Hamburg erforscht Langzeitfolgen
Auch nach der Genesung litten viele Klinikpatienten unter extremer Müdigkeit, der sogenannten Fatigue, Luftnot und Gelenkschmerzen, wie eine italienische Studie gezeigt habe. Die Nachuntersuchungen fanden zwei Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus statt. Betroffen waren demnach knapp 90 Prozent der Patienten. Die Ärzte hofften jedoch, dass die Symptome sich mit der Zeit verlieren.
Kluge teilt die Sorge vor einer Zunahme der Infektionen im Herbst. Wenn sich die Menschen wieder mehr in geschlossenen Räumen aufhielten, könnten sie sich leichter durch das ausgeatmete Aerosol anstecken. Andererseits habe Deutschland ein gutes Kontroll- und Gesundheitssystem. „Ich glaube, wir müssen auf Sicht fahren“, sagte Kluge. Allerdings müsse unbedingt vermieden werden, andere Patienten mit Krebs, Herzinfarkt oder Schlaganfall schlechter zu behandeln.
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Der Medizinprofessor setzt große Hoffnungen in einen guten Impfstoff. Dann könnte die Krankheit effektiv verhindert oder sogar vollständig eliminiert werden, vorausgesetzt, es ließen sich viele Menschen impfen. „Wir wären natürlich froh, wenn die Gesellschaft das Thema auch mal abschließen könnte“, sagt Kluge.