UKE-Studie: Das denken Virologen wirklich über die Corona-Politik
Social Distancing, Maskenpflicht, Schulschließungen: Deutschland ergreift drastische Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, die Krise wirkt sich massiv auf fast alle Lebensbereiche aus. Aber: Sind diese Maßnahmen wirklich sinnvoll – oder total überzogen? Eine Frage, die sich viele Bürger stellen, die aber nur Forscher, Ärzte und Virologen beantworten können. Genau die wurden für eine Studie der Uniklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) und der Uniklinik Tübingen (UKT) nun um ihre Meinung gebeten.
Für die Studie wurden 178 Experten aus den Fachgebieten der Virologie, Mikrobiologie, Hygiene, Tropenmedizin, Immunologie, Inneren Medizin und Intensivmedizin anonym online befragt. Die Resultate seien als Meinungsbild für Deutschland zu bewerten, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung des UKE und des UKT.
Zustimmung für Corona-Maßnahmen massiv gesunken
Die Gesamtzustimmung für die Maßnahmen der Bundesregierung sei im Vergleich zu einer ersten Befragung im März massiv gesunken, so die Ergebnisse der Forscher: Befürworteten damals noch 80,7 Prozent die Maßnahmen, seien es inzwischen nur noch 51,1 Prozent der Befragten.
Signifikant: Das öffentliche und wirtschaftliche Leben wieder anzukurbeln, im Alltag aber weiter Atemschutz zu tragen, befürworteten inzwischen 62,9 Prozent – bei der Erstbefragung seien es nur 16,8 Prozent gewesen. Für eine Verschärfung der Maßnahmen sprechen sich lediglich 1,7 Prozent aus.
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Die Umfrage zeige aber, dass ein Großteil der Mediziner und Wissenschaftler die geltenden Regeln des Social Distancing nach wie vor für wichtig halte. 77 Prozent der Befragten bewerteten die Maßnahmen zum Kontaktverbot als verhätlnismäßig, ganze 88,8 Prozent befürworteten das Verbot von Großveranstaltungen. Deutlich weniger Zustimmung gebe es allerdings für Kita- und Schulschließungen: Diese sähen inzwischen nur noch 5 bzw. 4,5 Prozent als wichtige Maßnahmen an, im März wares es noch 34,8 Prozent.
Bewertung der Maskenpflicht durchwachsen
Die Sinnhaftigkeit der geltenden Maskenpflicht werde sehr ambivalent bewertet, so die Forscher weiter. Wissenschaftliche Belege für die Schutzwirkung von Masken, ob professioneller Mund-Nasen-Schutz oder selbst hergestellte Alltagsmasken, seien den wenigsten Experten bekannt – im Gegenteil: Über 70 Prozent sähen Risiken durch falsche Handhabung.
Die überwiegende Befürwortung der Maskenpflicht sei in diesem Zusammenhang überraschend, kommentierte Studienleiter Professor Michael Schindler vom UKT die Ergebnisse in einer Mitteilung, die auf „idw-online“ erschienen ist. „Obwohl keine oder widersprüchliche Evidenz zu deren Schutzwirkung bekannt ist, befürwortet ein Großteil das Tragen zum Beispiel im ÖPNV“, so Schindler, und: „Auch Wissenschaftler sind nur Menschen und scheinen bei einigen Themen eher ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.“
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Wenig oder gar nicht verändert habe sich die Einschätzung der Experten zu Verlauf und Schwere der Erkrankung, so die aktuelle Studie. Im Durchschnitt gingen sie von einer Ansteckung von bis zu 50 Prozent der Bevölkerung aus. Die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung werde bei etwa 5 Prozent gesehen, mit einer Sterblichkeit von 1 Prozent.
Im Video: Maskenpflicht in Hamburg – auf Streife mit der Bundespolizei
Corona-Krise – Gefahr für die Meinungsfreiheit?
Auch die Rolle der Medien werde von den Experten inzwischen kritischer bewertet als noch im März, heißt es in der Mitteilung der Forscher weiter. Nur noch 59 Prozent der Befragten empfänden die Berichterstattung als sachlich. Bei der Erstbefragung waren es noch 79,7 Prozent. 38,8 Prozent vermuten inzwischen Panikmache, zuvor hatten nur 24,4 Prozent diesen Eindruck. Eine ausgewogene Berichterstattung vermissen 82,6 Prozent der Befragten, und bemängeln, es würden immer dieselben Experten befragt. 62,9 Prozent vermissten eine Debatte, die verschiedene Meinungen gegenüberstellt.
Jeder Zehnte bestätigt auch eine restriktive Informationspolitik einiger Universitäten – ein Drittel aller Experten sähe gar die freie Meinungsäußerung in der Wissenschaft bedroht. „Ein aus unserer Sicht bedenkliches Ergebnis“, so Schindler. „Wenn sich ein Drittel der Fachkollegen in Ihrer freien Meinungsäußerung bedroht sieht, sollten wir unsere Diskussionskultur grundsätzlich hinterfragen.“
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Die Umfrage des Teams unter Leitung von Professor Michael Schindler (Virologie, Tübingen), Professor Steffen Moritz und Professor Jürgen Gallinat (beide Psychiatrie, Hamburg) erfolgte mit Unterstützung der Gesellschaft für Virologie (GfV), der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM).