Ängste und psychische Krankheiten: Das beschäftigt Kinder in der Pandemie
Ludwigslust/Hamburg –
„Die Schulen müssen offen bleiben“: Diesen Satz hören wir seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder. Gesundheit und Wohlbefinden von Kindern sollen der Politik zufolge bei der Einführung von Anti-Corona-Maßnahmen einen hohen Stellenwert haben. Aber: Tatsächlich werden ihre Fragen und Ängste viel zu selten ernst genommen. Dabei sind die psychischen Folgen von Pandemie und Lockdown besonders für die Kleinsten gravierend.
Dass die beiden besten Freundinnen Ida und Lennya miteinander spielen dürfen, ist für sie keine Selbstverständlichkeit. Noch oft denken die beiden Achtjährigen an die Lockdown-Zeit im Frühjahr zurück, als die Schulen geschlossen waren und sie sich auch am Nachmittag nicht treffen durften. „Dass wir uns nicht sehen konnten, war das schlimmste. Und, dass mich an meinem Geburtstag niemand besuchen durfte“, sagt Ida.
Corona-Pandemie: Das macht der Lockdown mit Grundschulkindern
Der aktuelle „Lockdown light“ ist für die beiden Drittklässlerinnen aus Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern) leichter zu ertragen. „Gerade ist es nicht so schlimm, weil wir ja noch zur Schule gehen dürfen“, findet Lennya. Das sei sehr wichtig, „weil man da seine Freunde trifft.“ Auch dass Kinos und Schwimmbäder geschlossen sind, sei deshalb leichter zu ertragen.
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Auch Idas Mutter Karin erinnert sich noch gut an den Lockdown im Frühjahr. „Nach drei Wochen ohne Freunde haben Ida und ihr Bruder so gelitten, dass wir es ihnen erlaubt haben, sich jeweils einen Freund auszusuchen, mit dem sie sich draußen auf Abstand treffen durften. Es ging den beiden wirklich zusehends schlechter.“
Grundschulkinder erzählen: Davor haben sie Angst in der Corona-Pandemie
Doch auch jetzt stecken die Kinder viele Einschränkungen nicht so gut weg. „Eigentlich sind wir ganz schön viele in der Familie“, erzählt Ida. „und das ist echt blöd, wenn wir uns nicht immer sehen dürfen.“ Auch Lennya berichtet, dass sie ihren Opa und ihre Oma „fast gar nicht mehr sehe“ und ihre Oma sie ganz schön vermisse.
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Die Achtjährige hat Angst, dass „es wieder richtig losgeht und wir alle in Quarantäne müssen.“ Deshalb finde sie es „bekloppt und bescheuert, wenn Leute die Regeln nicht einhalten.“ Lennya und Ida befürchten auch manchmal, dass sie oder ihre Großeltern das Virus bekommen könnten. „Aber meine Mama sagt, wenn man immerzu Angst hat, dann wird man davon krank“, erzählt Ida.
Wie sollten Eltern in der Pandemie mit kindlichen Ängsten umgehen?
Ihre Mutter Karin versucht deshalb, den Kindern keine Angst vorzuleben. „Wir versuchen, Corona nicht übermäßig zu thematisieren. Wenn Fragen aufkommen, beantworten wir sie aber ehrlich.“
Dieses Verhalten empfiehlt auch Marion Löning. Sie ist Schulleiterin an der Edith-Stein-Grundschule in Ludwigslust und kennt die Sorgen der Kinder in Pandemie-Zeiten. Sie berichtet von der Angst vieler Schüler, sie selbst oder ein Verwandter könnten erkranken. „Das rührt daher, dass die Krankheit immer näher rückt und auch im Umfeld der Kinder immer häufiger Menschen erkranken oder sogar sterben. Für unsere Schüler war es wohl der Knackpunkt, als eine unserer Lehrkräfte erkrankt ist“, so Löning.
Es sei daher wichtig, die Sorgen Kinder ernst zu nehmen und Fragen zu beantworten, „auch wenn sie noch so naiv sind“. Vor allem aber sollten Eltern transparent und ehrlich sein, nichts beschönigen. „Wenn ein Kind sagt, dass es Angst hat, sollte man das nicht abtun. Man sollte Verständnis zeigen, vielleicht sogar zugeben, dass man sich selbst Sorgen macht“, so Löning. Ihre Devise sei: Kinder würden so viel fragen, wie sie ertragen könnten – das sollte man respektieren.
Corona-Lockdown: Kinder leiden unter fehlendem Kontakt zu Freunden
Nach dem ersten Lockdown konnte auch Schulleiterin Löning beobachten, wie sehr die Kinder unter dem fehlenden physischen Kontakt zu ihren Freunden gelitten hatten. „Als die Schüler dann wieder für einen oder zwei Tage in der Woche zur Schule kommen durften, konnten sie sich kaum auf den Unterricht konzentrieren“, erinnert sich die Lehrerin. „Sie brauchten die Zeit zum Schnattern und Tuscheln, zum Köpfe zusammenstecken – dieser Kontakt lässt sich durch Skype oder WhatsApp nicht ersetzen.“
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Immer wieder betont die Politik die Priorität der offenen Schulen bei der Einführung von Maßnahmen. Aber geht es hier wirklich um das Wohlbefinden der jungen Generation? Das glaubt Löning nicht: „Mein Eindruck ist, dass es im Endeffekt vor allem um die Wirtschaft geht. Die Eltern müssen zur Arbeit – also müssen die Kinder in der Schule betreut werden. Außerdem müssen die älteren Schüler ja auf ihren Abschluss vorbereitet werden – um dann für den Arbeitsmarkt verfügbar zu sein.“
Wegen Corona: Verhaltensprobleme und psychische Auffälligkeiten bei Kindern
Auf die entwicklungspsychologischen Folgen von Pandemie und Lockdown werde viel zu wenig geschaut, so Löning weiter. Und die sind gravierend: Laut der „COPSY“-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf aus dem Frühsommer, für die bundesweit 1040 Kinder und 1500 Eltern online zu Themen wie psychischer Gesundheit, Lebensqualität, Gesundheitsverhalten, Schule, Familie und Freunden befragt wurden, fühlen sich 71 Prozent der Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie belastet; zwei Drittel von ihnen geben eine verminderte Lebensqualität und ein geringeres psychisches Wohlbefinden an.
„Wir haben mit einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens in der Krise gerechnet. Dass sie allerdings so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht“, sagte Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der Studie.
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Der Studie zufolge hat sich das Risiko für psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie von 18 auf 31 Prozent erhöht. Die Symptome sind vielfältig und reichen von Hyperaktivität, emotionalen, Einschlaf- und Verhaltensproblemen und Gereiztheit bis hin zu psychosomatischen Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen.
Hamburg: Corona-Pandemie verschlimmert psychische Krankheiten bei Kindern
Dr. med. Tim Schlüter, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie am KJP Centrum in Hamburg, beobachtet in der Praxis vor allem eine Tendenz: „Oft schildern Eltern bei der Anmeldung, dass sich die psychischen Probleme bei den Kindern seit Pandemiebeginn verschlimmert haben.“ Es sei also eine Veränderung im Erleben von psychischen Belastungen zu beobachten.
Die Ursachen seien vielfältig: Kinder seien zwar grundsätzlich sehr anpassungsfähig. Dennoch würden sie die geringere Abwechslung, den Wegfall bestimmter familiärer und freundschaftlicher Kontakte und die Gleichförmigkeit und Langeweile im Alltag als große Belastung empfinden, so der Kinderpsychiater.
Ida und Lennya sind deshalb „einfach froh“, zur Schule gehen und sich wieder treffen zu dürfen. Nur der Blick auf Weihnachten macht die beiden ein bisschen traurig: „Mir wird die Familie fehlen“, sagt Ida. „Zum Glück dürfen wir wenigstens mit ein paar von ihnen feiern.“